Die Vergessene Welt
Pterodactylus.
Eindeutige Gewißheit gibt es in diesem Punkt nicht. Nach der
Aussage zweier erschreckter Frauen hatte er sich auf dem Dach
der Queens Hall niedergelassen und war dort mehrere Stunden
lang wie ein lebendiges Teufelsbild gehockt. In den
Abendzeitungen am nächsten Tag war zu lesen, daß ein Soldat,
der vor dem Marlborough House Wache gestanden hatte,
wegen unerlaubten Verlassens seines Postens vor das
Kriegsgericht gestellt wurde. Seine Entschuldigung, daß er sein
Gewehr hingeworfen und die Flucht ergriffen hätte, weil er
plötzlich beim Aufblicken den Teufel vor dem Mond
dahinfliegen gesehen habe, wurde vom Gericht nicht
akzeptiert, könnte aber in direktem Zusammenhang mit
unserem Pterodactylus stehen.
Die einzige andere Spur, die ich noch hinzufügen kann,
stammt aus dem Logbuch der Friesland, eines Dampfers der
Holland-Amerika-Linie. Sie besagt, daß am nächsten Morgen
um neun Uhr, zehn Meilen vor Start Point, ein seltsames Tier –
halb Ziege, halb Fledermaus – beobachtet wurde. Es sei mit
erstaunlichem Tempo vorbeigeflogen und in südwestlicher
Richtung verschwunden. Wenn sein Heimatinstinkt ihm den
richten Kurs eingab, besteht kein Zweifel, daß der letzte
europäische Pterodactylus irgendwo in den endlosen Weiten
des Atlantik ertrunken ist.
§
Und nun zu Gladys, meiner Gladys vom geheimnisvollen
See – der nun wieder in Zentralsee umbenannt werden wird,
denn Gladys soll durch mich keine Unsterblichkeit erlangen.
Hatte ich nicht von Anfang an einen brutalen Chrakterzug in
ihr vermutet? Hatte ich nicht, sogar zu jener Zeit, als ich noch
stolz darauf war, ihrem Geheiß zu folgen, gewußt, daß es eine
recht armselige Liebe sein mußte, wenn der Geliebte in den Tod
oder doch in tödliche Gefahr geschickt wurde? Habe ich nicht
in meinen geheimsten Gedanken durch die schöne Fassade
ihres Gesichts hindurch in ihre Seele geblickt und dort den
Zwillingsschatten von Selbstsucht und Unbeständigkeit
erkannt? Waren es Heldentum und menschliche Größe an sich,
die sie liebte, oder hatte sie mich nur wegen des Ruhms, der
ohne eigene Anstrengung und Opfer auf sie ausstrahlen sollte,
in die Fremde geschickt? Sind diese meine Gedanken nur
Ausdruck jener Klugheit, die nach dem Schaden kommt? Es
war auf alle Fälle der Schock meines Lebens. Vorübergehend
wurde ich zum Zyniker. Aber jetzt, da ich dies schreibe, ist
schon eine Woche vergangen.
Ich will mein Erlebnis mit Gladys in wenigen Worten
erzählen. In Southampton erwartete mich weder ein Brief noch
ein Telegramm. Von Sinnen vor Besorgnis kam ich gegen zehn
Uhr am gleichen Abend zu der kleinen Villa in Streatham. War
Gladys krank oder tot? Wo waren meine nächtlichen Träume
von zärtlichen Umarmungen, ihrem lächelnden Gesicht und den
Lobesworten für den Ritter, der ausgezogen war und sein Leben
für sie gewagt hatte, geblieben? Ich war von den erhabenen
Gipfeln herabgestürzt und stand bescheiden auf dem Erdboden.
Aber immer noch hätte eine einleuchtende Erklärung die
Wolken wieder zerstreuen können. Ich stürzte den Gartenpfad
hinauf, hämmerte gegen die Tür, hörte drinnen die Stimme
von Gladys, drängte mich an dem bestürzten Hausmädchen
vorbei und eilte ins Wohnzimmer. Im Schein der Stehlampe
saß sie auf einem niedrigen Sofa neben dem Klavier. Mit drei
Schritten war ich bei ihr und ergriff ihre beiden Hände.
»Gladys!« rief ich. »Gladys!«
Sie blickte mit überraschtem Gesicht auf. Irgendwie wirkte
sie verändert. Der Ausdruck ihrer Augen, der harte Blick, die
verkniffenen Lippen waren mir neu an ihr. Sie entzog mir die
Hände.
»Du?« fragte sie bloß.
»Gladys!« rief ich. »Was ist denn los mit dir? Du bist doch
meine Gladys, oder etwa nicht? Die liebe kleine Gladys
Hungerton?«
»Nein«, sagte sie. »Ich heiße jetzt Gladys Potts. Darf ich dir
meinen Mann vorstellen?«
Wie absurd das Leben doch sein kann! In dem Sessel, in
dem ich immer gesessen hatte, hockte ein kleiner, rothaariger
Mann, vor dem ich mich jetzt verbeugte und dem ich die Hand
schüttelte. Wir grinsten uns gegenseitig peinlich berührt und
mit leeren Gesichtern an.
»Bis unser Haus fertig ist, wohnen wir noch einstweilen
hier«, sagte Gladys.
»Wie angenehm«, sagte ich.
»Hast du meinen Brief denn nicht bekommen?« fragte
Gladys. »Ich habe ihn nach Para geschickt.«
»Nein, ich habe keinen Brief bekommen.«
»Schade, dann hättest du Bescheid gewußt.«
»Dafür weiß ich jetzt
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