Die Vergessene Welt
wir
uns auf den Weg.«
Wir benutzten die Zeit dazu, eine Büchse zu öffnen und
etwas zu essen. Lord John, der seit über vierundzwanzig
Stunden nichts zu sich genommen hatte, verschlang
Dreiviertel davon.
Und schließlich brachen wir auf, die Taschen voll Patronen,
die Gewehre durchgeladen. Zur Vorsicht markierten wir das
Versteck, um es notfalls wieder finden zu können.
Schweigend pirschten wir durch das Unterholz, bis wir am
Rand der Klippen, ganz in der Nähe unseres ersten Lagers
waren. Hier hielten wir einen Moment an, und Lord John
legte mir seinen Schlachtplan vor.
»Solange wir im Unterholz sind, sind uns die Affen
überlegen«, sagte er. »Sie sehen uns, aber wir sehen sie nicht.
Auf freiem Feld ist es umgekehrt. Da sind wir im Vorteil, weil
wir schneller vorwärtskommen. Wir müssen uns also möglichst
im offenen Gelände bewegen. Am Rande des Plateaus stehen
nur vereinzelt hohe Bäume, folglich schleichen wir uns daran
entlang. Gehen Sie langsam, halten Sie die Augen offen und das
Gewehr schußbereit. Und das Wichtigste, Malone – lassen Sie
sich um alles in der Welt nicht von ihnen gefangen nehmen,
solange Sie noch eine Kugel im Lauf haben.«
Am Rand der Klippen angekommen, blickte ich hinunter.
Unser guter schwarzer Zambo hockte direkt unter uns auf
einem Felsblock und rauchte eine dicke Zigarre. Ich hätte
etwas darum gegeben, ihn rufen und ihm sagen zu können, wie
es um uns stand, aber das wäre zu gefährlich gewesen. Um uns
herum wimmelte es von scheußlichen Kreaturen. Immer wieder
hörten wir ihr seltsames Schnattern, und immer wieder
hechteten wir uns hinter einen Busch und rührten uns nicht,
bis sie vorbei waren.
Wir kamen daher nur sehr langsam vorwärts, und zwei
Stunden waren wenigstens verstrichen, bis ich plötzlich an Lord
Johns vorsichtigen Bewegungen sah, daß wir am Ziel sein
mußten. Er befahl mir durch ein Zeichen, mich zu ducken,
während er weiterkroch.
Nach etwa einer Minute war er wieder zurück.
»Schnell!« zischte er. »Los, schnell. Ich bete zu Gott, daß wir
nicht zu spät kommen.«
Ich zitterte vor Aufregung, als ich vorwärtskroch, mich
neben ihn legte und zwischen den Büschen hindurch auf eine
Lichtung spähte, die sich vor uns ausdehnte.
Es war ein Anblick, den ich nie vergessen werde, bis an
meinen letzten Tag nicht – so unwirklich, so unfaßlich, daß ich
nicht weiß, wie ich ihn beschreiben soll. Falls es mir vergönnt ist,
noch einmal auf dem Sofa im Savage-Club zu sitzen und auf die
eintönige Uferpromenade hinauszublicken, wird mir dies alles
wie ein übler Traum, wie ein Fieberdelirium vorkommen. So will
ich es jetzt aufschreiben, solange ich es noch frisch im
Gedächtnis habe. Lord John, der an meiner Seite im feuchten
Gras gelegen hat, wird bezeugen können, daß ich die Wahrheit
sage.
Ein weiter freier Platz lag vor uns – einige hundert Meter im
Durchmesser. Er reichte bis unmittelbar an den Rand der Klippen
und war mit grünem Rasen und Farnbüschen bewachsen. Darum
herum ein Halbkreis von Bäumen, in deren Zweigen,
übereinandergebaut, merkwürdige Hütten aus Laub steckten. In
den Eingängen der Hütten und auf den Asten der Bäume drängte
sich eine dichte Menge von Affenmenschen, die ich wegen ihrer
Größe für Frauen und Kinder des Stammes hielt. Sie bildeten den
Hintergrund des Bildes und blickten mit gespanntem Interesse
auf die Szene, die uns den Atem stocken ließ.
Im Freien, dicht am Rande der Klippen, hatte sich eine
Horde von ein paar hundert dieser zottigen, rothaarigen
Kreaturen versammelt und zu meinem großen Erstaunen nach
einer gewissen Ordnung postiert. Vorn stand eine Gruppe
Indianer – kleine, wohlproportionierte, rothäutige Burschen,
deren Haut im hellen Sonnenlicht wie Bronze leuchtete. Ein
langer, dünner weißer Mann stand neben ihnen, den Kopf
gesenkt, die Arme verschränkt. Seine Haltung drückte
Verzweiflung und Niedergeschlagenheit aus. Die eckige
Gestalt gehörte unverkennbar Professor Summerlee.
Vor dieser kläglichen Gruppe von Gefangenen und um sie
herum standen mehrere Affenmenschen, die sie scharf
bewachten und jede Flucht unmöglich machten. Etwas abseits
standen zwei Gestalten am Rand der Klippen. Sie wirkten
derart merkwürdig und trotz der ernsten Lage lächerlich, daß
ihnen meine ganze Aufmerksamkeit galt. Die eine davon war
unser Professor Challenger. Die Überreste seiner Jacke hingen
ihm in Fetzen von den Schultern, sein Hemd
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