Die vergessenen Schwestern (Hackenholts erster Fall) (German Edition)
Frau Siebert hereinreichte, überflog Hackenholt es schnell. Im Wesentlichen stimmte ihre Aussage mit der ihres Mannes überein. Auch sie hatte angegeben, den Abend gemeinsam in der Wohnung verbracht zu haben. Die Ermittler kamen schnell überein, dass Stellfeldt und Berger die Nachbarn des Ehepaars befragen sollten, ob sie die zwei zum fraglichen Zeitpunkt in der Wohnung gehört hatten.
Hackenholt hätte jetzt auch gerne das Präsidium verlassen, aber er riss sich zusammen und las weiter in den Akten. Als Wünnenberg gegen zwei Uhr wieder einmal in Richtung Sozialraum verschwand, um eine frische Kanne Kaffee zu kochen, klingelte sein Telefon. Hackenholt nahm das Gespräch an seiner Stelle an.
»Hallo, hier spricht Julia Sommer. Ralph Wünnenberg hat in meiner Galerie angerufen, während ich bei einem Kunden war.«
»Das ist richtig. Leider ist er jetzt gerade verhindert, Frau Sommer, aber wenn es Sie nicht stört, spreche ich mit Ihnen. Wir benötigen nämlich eine Auskunft über eine Nürnberger Künstlerin.« Hackenholt erklärte ihr, worum es ging und was er von ihr wissen wollte.
»Puh, das sind ganz schön viele Fragen auf einmal, und auf die meisten habe ich aus dem Stegreif keine Antwort«, gestand die Galeristin, nachdem Hackenholt geendet hatte. »Aber ich kann mich bei ein paar Kollegen umhören, deren Galerien mehr in Richtung moderne Kunst gehen. Frau Jakobi ist mir zwar ein Begriff, und ich kenne einige ihrer Bilder, aber ich habe mich nie weiter für sie interessiert. Wie dringend ist es denn?«
»Um ehrlich zu sein, bräuchten wir die Auskunft so schnell wie möglich.«
»Ich weiß nicht, ob ich das bis heute Abend schaffe, aber bis morgen Vormittag habe ich sicher ein paar Antworten auf Ihre Fragen herausgefunden.«
»Das wäre prima.«
Kaum hatte Hackenholt aufgelegt, begann sein eigenes Telefon zu läuten. Es war der wachhabende Beamte der PI Mitte, der mitteilte, dass Jürgen Degel pünktlich zum vereinbarten Termin eingetroffen war.
Das Erste, was Hackenholt durch den Kopf ging, als er Jürgen Degel sah, war, dass auf ihn der Begriff »Beau« zutraf. Der Mann war überkorrekt gekleidet und wirkte dabei sehr extravagant. Dazu passten sein volles, schulterlanges Haar und das markante Kinn. Selbst in einer Menschenansammlung würde man ihn nicht so leicht übersehen.
»Vielen Dank, dass Sie sich Zeit für uns genommen haben, und natürlich auch, dass Sie nach Nürnberg gekommen sind. Es ist für uns wesentlich angenehmer, direkt mit Ihnen zu sprechen, als das über die Amtshilfe mit der Kripo Brandenburg machen zu müssen. Aber Sie kennen sich ja aus – wenn ich es richtig in Erinnerung habe, erwähnte Ihr Bruder, dass Sie Jurist sind«, begrüßte Hackenholt Jürgen Degel.
»Ja, das ist richtig.«
»Wann haben Sie Herrn Siebert zum letzten Mal gesehen?«
»Das war Sonntag vor zwei Wochen. Da war ich das letzte Mal in Nürnberg und habe bei Peter gewohnt.«
»Hat sich Herr Siebert an dem Wochenende so wie immer verhalten, oder war er vielleicht nervöser oder ängstlicher als sonst?«
»Er war wie stets einfach gut drauf.«
»Herr Siebert hat sich auch nicht über irgendetwas beklagt oder über Dinge gesprochen, die ihn beunruhigt hätten? Oder war er besonders ausgelassen, ungewöhnlich fröhlich?«
»Nein, es gab keinen Unterschied. Peter war absolut cool und hat alles in vollen Zügen genossen. Er hat sich über nichts beklagt, und beunruhigt hat ihn ganz bestimmt nichts.«
»Wir haben in Herrn Sieberts Wohnung Haschisch gefunden.«
»Ja, und?«
»Das scheint Sie nicht zu verwundern.«
»Nein, er hat manchmal was geraucht.«
»Wissen Sie, wie es mit seinen Finanzen aussah?«
»Nein, aber ich habe ihn nie klagen hören.«
»Hat Ihnen Herr Siebert anvertraut, ob er ein Testament gemacht hat?«
»Definitiv weiß ich es nicht, aber ich glaube nicht, dass er eins hatte. Es hätte ihn nicht im mindesten interessiert, wie sich seine Familie um sein Erbe streitet.«
»Herr Siebert schien insgesamt nicht sonderlich viel für seine Familie übrig zu haben.«
»Das hat auf Gegenseitigkeit beruht. Die haben sich auch nicht für ihn interessiert. Peter war der Meinung, dass man sich seine Familie nicht aussuchen kann, seine Freunde hingegen schon. Also hat er sich immer mehr für seine Freunde interessiert als für seine Familie.«
»Hat er Ihnen jemals den Grund dafür genannt, warum er zu seiner Schwester ein so schlechtes Verhältnis hatte?«
»Die waren ihm viel zu
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