Die Verschollenen
sie noch lauter schrie.
Auf Roberta stürzte sich ebenfalls ein Monster. Es breitete die Arme aus, als wollte es die entsetzte Frau umarmen. Überrascht bemerkte sie, dass es grinste. Jetzt, wo es so nah war, wurden ihre allergischen
Reaktionen heftiger. Das Ding kroch näher an sie heran. Eine rötlich-braune Zunge schoss zwischen den Lippen des Wesens hervor, als wollte es die Luft prüfen. Kleine Wassertröpfchen perlten aus seinem buschigen Fell. Roberta stieß einen Laut aus, der halb Schrei und halb Niesen war. Als Antwort öffnete die Kreatur das Maul und zischte. Dann griff sie sich zwischen die Beine. Robertas Blick wanderte nach unten. Das Ding hatte eine Erektion. Zwei Hoden so groß wie Kiwis hingen unter einem geschwollenen Penis und pendelten bei jedem Schritt hin und her.
Sie schaute wieder hoch. Das Grinsen des Wesens wurde breiter …
… und verschwand einen Moment später, als sie ihm in die Eier trat.
Roberta spürte, wie die Hoden des Monsters unter ihren Zehen nachgaben, spürte die heiße, faulige Luft, die es ausstieß, und hörte den überraschten, wütenden Schmerzensschrei, aber sie hatte keine Zeit, ihren Triumph zu genießen. Sie wirbelte herum und rannte zurück zum Pfad. Ihre Augen tränten unkontrolliert, und ihr lief Rotz aus der Nase und über die Oberlippe. Ihre Lunge brannte, als sie keuchend Luft holte. Sie betete darum, dass ihr Hals nicht zuschwellen würde, wie es früher bei ihren schlimmsten allergischen Anfällen schon passiert war.
Als sie Geräusche hinter sich hörte, verließ sie den
Pfad und stürzte sich kopfüber in den Dschungel. Ein schriller, klagender Schrei ertönte. Er klang, als hätte eine Mischung aus Mensch und Hyäne ihn ausgestoßen. Ohne die dichten Ranken und die dornigen Zweige zu beachten, die ihr die Haut zerkratzten, rannte Roberta durch das Dickicht, wobei sie verzweifelt versuchte, ihre Verfolger abzuhängen. Sie konzentrierte sich auf ihre Atmung und versuchte die krachenden Geräusche, die jetzt überall im Dschungel laut wurden, zu ignorieren; brechende Zweige, raschelnde Farne, Schritte, die im Takt mit den Regentropfen erklangen. Sie dachte an ihren Mann Stephen und an ihre beste Freundin Sherry. Dann wanderten ihre Gedanken zu ihren drei Katzen: Nike, Tinkerbelle und Jack Byron. In vielerlei Hinsicht waren sie für sie wie Kinder. Sie musste es einfach lebend hier rausschaffen. Wer sollte sich sonst um sie kümmern?
Roberta riskierte einen Blick über die Schulter und entdeckte zwei rennende braune Gestalten zwischen den Bäumen. Ohne auf die Schmerzen in ihrer Brust zu achten, beschleunigte sie ihre Schritte. Sie überlegte, ob sie auf einen Baum klettern sollte, aber sie hatte schreckliche Höhenangst. Stattdessen rannte sie einfach weiter, halb blind durch den Regen. Als sie etwas Abstand zwischen sich und die Kreaturen gebracht hatte, ließen die allergischen Symptome nach, doch jetzt schnürte ihr die nackte Angst die Kehle zu.
Während sie immer weiter floh, fragte sie sich, wo wohl die anderen waren. In Kürze sollte sie Mark und Jesse für ein Interview zur Verfügung stehen. Inzwischen müssten sie mit diesem seltsamen Matthew fertig sein. Bestimmt würden sie bald nach ihr suchen.
Oder?
Keuchend taumelte sie weiter.
ZEHN
M atthew stand auf einer großen Lichtung neben dem Pfad der Crew. Um ihn herum bogen sich die Bäume im Wind und drohten durchzubrechen, aber er suchte sich keinen Schutz. Er hatte die Arme ausgebreitet und sein Gesicht zum Himmel gereckt. Lächelnd sah er dem Sturm entgegen, und wenn ein Blitz die Wolken zerriss, stellte er sich vor, dass der Himmel sein Lächeln erwiderte. Für einen Moment sah der Dschungel aus wie ein schwarz-weißes Fotonegativ, eingefroren im Augenblick des Blitzschlags. Dann normalisierte sich seine Sicht wieder. Als gleich darauf der Donner dem Blitz folgte, spürte er ihn in seiner Brust rumpeln. Der Wind heulte durch den Dschungel und hörte sich an wie ein Zug, der Fahrt aufnahm. Dicke Regentropfen trafen sein Gesicht wie die Kugeln aus der Luftpistole, mit der der Rowdy in seinem Viertel ihn immer beschossen hatte, als sie noch Kinder waren. Matthew hieß den Regen willkommen. Die Parallelen zu einer metaphorischen Taufe entgingen ihm nicht.
Hier, auf dieser ursprünglichen, entlegenen Insel, hatte er einen Teil von sich wiederentdeckt, von dem
er nicht gewusst hatte, dass er überhaupt verlorengegangen war. Die ganze Zeit über hatte er sich gefreut, dass es ihm gelungen
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