Die Verschwörer von Kalare
wäre«, meinte Max, »und mir eine unbekannte Zahl Verfolger auf den Fersen ist, wohin würde ich
gehen?« Er runzelte die Stirn. »Augenblick mal. Bei den Krähen, was macht der Kerl überhaupt hier draußen? Ich dachte, man hätte ihn nach Phrygien geschickt.«
»Ist dir aufgefallen, wie viel Pfefferminze er eingepackt hat?«, fragte Tavi.
»Klar. Ich dachte, er mag Pfefferminze.«
»Nein. Er wird schnell seekrank.«
Max zog eine Augenbraue hoch. »Aber Phrygien liegt Tausende Meilen vom Meer entfernt und - oh.«
Tavi nickte. »Ich schätze, er hatte Befehl, es geheim zu halten, aber ich würde darauf tippen, dass man ihn zu den Inseln geschickt hat.«
Max schnaubte. »Wenn ich also Ehren wäre, der ein ebenso hinterhältiges Kerlchen ist wie Tavi, und gerade von den Inseln zurückgekommen bin und von bösen Männern verfolgt werde, die mir Böses antun wollten, wohin würde ich dann gehen?«
»Ich würde mir einen Ort suchen, wo ich die Kontrolle behalte«, antwortete Tavi. »Wo ich mich in aller Ruhe und ohne großes Aufsehen mit diesen Kerlen befassen kann.« Er zögerte kurz, und dann sagten Max und er wie aus einem Munde: »Der Hafen!«
Sie ritten weiter, Tavi vorneweg. Rote Blitze flackerten trüb über den Himmel und erschwerten es noch, den dunklen Weg zu erkennen. Tavi konnte anhand der Elementarlampen in der Stadt und auf der Brücke die Richtung bestimmen, aber er vermochte kaum zu sehen, was sich fünf Schritt vor ihm befand. Eile war geboten, doch würde es Ehren nichts nutzen, wenn sie sich an niedrigen Ästen die Köpfe einschlugen oder sich eines der Tiere in einem Schlagloch des Wegs das Bein brach. Also wollte er das Pferd langsamer gehen lassen.
»Nein«, sagte Kitai ihm ins Ohr. Der Arm um seinen Bauch bewegte sich, und sie ergriff die Hand, mit der Tavi die Zügel hielt. Die zog sie nach rechts, und das Pferd änderte die Richtung. Max’ Tier folgte ihnen. Blitze zuckten, und Tavi sah den
schwarzen Schlund eines tiefen Lochs vorbeihuschen, dem sie knapp ausgewichen waren.
Kitai beugte sich vor, und er spürte ihre Wange an seiner. Sie lächelte. »Ich kann dein Auge sein, blinder Aleraner.«
Tavi musste unwillkürlich genauso grinsen wie sie, und er spornte sein Tier mit lauten Rufen zur größtmöglichen Geschwindigkeit an, die ein solches Zugpferd erreichen konnte.
Sie ritten durch das Osttor in die Stadt, riefen den wachhabenden Legionares die Losung zu und donnerten über das Pflaster der Straßen. Die Hufeisen schlugen Funken auf den Steinen. Das Westtor war nur angelehnt, und hier gab es keine Wachen. Als sie darauf zupreschten, erzeugte Max einen kleinen Wirbelsturm, der das Tor aufdrückte. Sie galoppierten hindurch und bogen dann ab, um an der Stadtmauer entlang zum Fluss zu gelangen.
Die Stadt Elinarcus war ursprünglich als festes Legionslager an beiden Enden der Brücke gegründet worden. In den Jahrhunderten, die seitdem vergangen waren, hatte sich die wachsende Bevölkerung auch jenseits der Mauern niedergelassen. Neben Wohnhäusern und Geschäften war ein großer Hafen entstanden, da die Stadt über den Fluss mit Gütern versorgt wurde. Die Lagergebäude und Anleger aus Holz breiteten sich an beiden Ufern Hunderte von Schritten weit entlang der alten Stadtgrenze aus.
Mit den Schiffen und Booten kam auch ein steter Strom an Seeleuten in die Stadt, und die sorgten dafür, dass das Laster einen - wenn auch bescheidenen - Platz fand. Die Weinstuben, Spielhöllen und Vergnügungshäuser waren auf Stegen und auf Kähnen errichtet, die dauerhaft vor Anker lagen. Hier im Hafen gab es nur wenig Elementarlaternen, denn einerseits wollte man in der Nähe von so viel Holz ungern Feuerelementare sehen, selbst wenn sie winzig waren, und andererseits kam die Dunkelheit durchaus den Geschäften gelegen, die hier im Verborgenen abgewickelt wurden.
Tavi schwang sich von seinem Pferd und befestigte die Zügel
an einem Holzpfosten. »Also, wo müsste man nach Ehren suchen, so wie wir ihn kennen?«
»Der kleine Kerl plant gern voraus«, sagte Max. »War stets pünktlich zum Unterricht. Hat sich Zeit zum Lernen genommen.«
Tavi nickte. »Er dürfte sich vorher schon eine Stelle gesucht haben, für den Fall, dass er fliehen oder kämpfen muss. Wo die Leute abgelenkt sind und ihn nicht bemerken, während er sich davonstiehlt.« Tavi deutete mit dem Kopf auf eine Reihe großer, geräumiger Gebäude, die direkt unter die hohe Steinbrücke von Elinarcus gebaut waren.
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