Die Verschworenen
dreihundert Meter von uns entfernt. »Sieht aus, als hätten sie dort ein Lager gehabt. Sind wohl abgezogen, hehe.«
Wir halten uns verborgen, bis die Jäger außer Sicht sind. Im Weitergehen grübelt Andris laut vor sich hin, wie er mich am besten zu Quirin schaffen kann, ohne dass wir bemerkt werden, aber dann ergibt sich die Lösung des Problems fast von selbst: Vor uns taucht die Dornenhecke auf.
»Hier trennen wir uns. Ich komme jetzt allein klar.«
Andris sträubt sich. Er glaubt mir nicht, dass ich ohne Hilfe heil bis zu Quirin gelange, und will keinesfalls von meiner Seite weichen. »Das wäre das Letzte«, brummt er.
Er weiß nicht, wie viel Zeit ich in der Stadt unter der Stadt verbracht habe. Wie die anderen Dornen denkt auch er, dass wir weitergezogen sind. Aber mir fehlt im Moment die Ruhe, um ihn mit der Wahrheit vertraut zu machen.
»Quirin selbst hat mir den Weg gezeigt«, erkläre ich und deute auf die Ruine, durch deren Keller es in die unterirdischen Gänge geht. »Ich finde mich zurecht. Wenn du oben weiterläufst, lenkst du die Aufmerksamkeit möglicher Feinde von mir ab. Dafür wäre ich sehr dankbar.«
Das ist eine Vorstellung, mit der Andris leben kann. Er umarmt mich, nimmt mir zweimal das Versprechen ab, vorsichtig zu sein, und hebt die Kellerklappe für mich an. »Wenn du bei uns bleiben willst, nehme ich dich wieder ins Sammlerteam auf«, erklärt er, während ich nach unten steige. »Ich spreche auch mit Sandor. Er wird auf mich hören.«
»Mach es gut, Andris. Achte auf deinen Kopf, der braucht noch Schonung.«
Er nickt, schiebt die Unterlippe ein Stück vor, wie ein Kind. »Sehen wir uns bald wieder?«
»Das hoffe ich.«
Dunkelheit umschließt mich, als er die Klappe schließt. Die Lampe, die wir dem Schlitzer abgenommen haben, trägt Andris bei sich, aber ich habe die von Sandor aus meinem Tragebeutel geholt.
Alles unverändert. Ich betrete die unterirdischen Gänge wie eine alte Heimat. Gewölbte rote Ziegelwände, niedrige Mauerdurchbrüche, dann ein weiter Schacht, von dem links und rechts Tunnel abzweigen. Meine Schritte hallen von den Wänden und aus entfernten Tunneln wider, Wasser tropft auf mich herab.
Was wir begriffen haben, was wir wissen, drückt uns allen aufs Gemüt, es presst die Hoffnung aus uns heraus und lässt uns kraftlos zurück , hat Jordan geschrieben.
Ich kann das so gut nachfühlen. Der Gedanke an das, was vor mir liegt, weckt in mir den Wunsch, mich in einer dieser finsteren Ecken zusammenzurollen und lange, lange zu schlafen. Aber auch ich habe etwas begriffen, und wenn es wahr sein sollte, dann werde ich retten, wen ich retten kann.
Ich lasse unser Gewölbe links liegen. So gerne ich Tycho sehen will. Etwas anderes ist wichtiger. Das Gespräch mit dem Bewahrer.
Warum habe ich nicht früher gefragt, was er eigentlich bewahrt? Ich bin ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass es sich um alte Weisheit handelt, um kostbares Wissen.
Ohne mich ein einziges Mal zu verlaufen, gelange ich an den Durchgang zu den unterirdischen Räumen der Bibliothek. Die Tür ist verschlossen und ich läute die Glocke. Stelle mir vor, wie oben erstaunte Blicke gewechselt werden. Sie vermuten sicher, dass es Tycho ist, der eingelassen werden will.
Es dauert lange, bis ich Schritte höre. Dann dreht sich knirschend ein Schlüssel im Schloss und vor mir steht Fiore, mit weit aufgerissenen Augen.
»Du?«
Ich nicke, dränge an ihr vorbei.
Mit einem Knall fällt die Tür hinter mir zu, wird hastig versperrt, dann beeilt Fiore sich, zu mir aufzuschließen.
»Wieso bist du wieder da? Ist etwas passiert? Wo sind Aureljo und Dantorian?«
»Es geht ihnen gut.« Ich hoffe, dass das stimmt. »Sie sind noch in Vienna 2.«
Der nächste Treppenabsatz. Es ist nicht mehr weit bis zu Quirins Halle, bald kommt der Aufgang mit den marmornen Tafeln in der Wand. Ich beschleunige meine Schritte.
»Warum hast du es so eilig?«, ruft Fiore mir hinterher. »Er ist beschäftigt, du wirst sowieso warten müssen.«
Das kann sie vergessen. Egal was Quirin gerade treibt, er wird sich für mich Zeit nehmen, sofort.
Vor mir liegt die Marmortreppe, ich laufe an der Frauenstatue mit der erhobenen Hand und dem Siegeskranz vorbei, höre die schwere Pforte zum Saal aufgehen, bevor ich sie sehen kann.
Am oberen Ende der Treppe steht eine vertraute Gestalt, in der Bewegung erstarrt vor Überraschung. Ich gehe die letzten Stufen langsamer, ich will nicht in Sandor hineinlaufen.
Er atmet
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