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Die Verschworenen

Die Verschworenen

Titel: Die Verschworenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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geraten?
    Als Erstes hätte er mir zehn Punkte abgezogen, für nachhaltiges Abschalten meiner Vernunft. Er hätte mich einige der Anfängerübungen auffrischen lassen, aber er wäre nicht ohne Mitleid gewesen. Das weiß ich. Analysiere , hätte er gesagt. Wie bist du in diese Lage geraten? Was hat dich dazu gebracht, deine Vorsicht über Bord zu werfen? Weswegen bist du jetzt in diesem bedauernswerten Zustand?
    Ich sehe sein ironisches Lächeln vor mir und das lässt mich zum ersten Mal denken, dass ich es überleben werde.
    Wann habe ich begonnen, mich zu Sandor hingezogen zu fühlen? Während der gemeinsamen Jagd, als er mich aus der Angriffsbahn des Wildschweins gezogen hat? Oder später, als er den Sentinel tötete, der mich beinahe erwürgt hätte? Das würde darauf schließen lassen, dass ich gerne gerettet werde. Kein erbaulicher Gedanke.
    Eigentlich glaube ich aber, dass ich erst kürzlich begonnen habe, ihn mit anderen Augen zu sehen. In den Stunden, als er mich nach draußen geführt hat. Während unserer Schießübungen.
    Der Gedanke an diese Momente schmerzt, also liege ich wohl richtig. Ich habe meine Schilde erst nach und nach gesenkt – sicherlich auch, weil ich froh war, jemanden zu haben, der nicht darauf aus war, mich in die Sphären zurückzulocken. Ich habe mich auf Sandor eingelassen, ebenso wie ich mich auf ein neues Leben in der Außenwelt eingelassen habe. Beides gehört zusammen: die Sonne und seine Berührungen, der Wind und sein Lachen, der Regen und sein Haar …
    Sehr kitschig, Ria , sagt Grauko in meinem Kopf und ich entschuldige mich stumm.
    Trotzdem ist mir gerade eben noch etwas klar geworden: Zum zweiten Mal innerhalb sehr kurzer Zeit wird mir der Boden unter den Füßen weggezogen und wieder nennt mir niemand einen Grund dafür. Die Sphären wollten keinen Prozess, um uns des Verrats zu überführen, sondern zogen es vor, uns heimlich zu beseitigen. Sandor kippt innerhalb von Minuten all seine Gefühle für mich über Bord und erklärt, mich nie wieder sehen zu wollen.
    Das darf einen doch aus dem Gleichgewicht bringen, findest du nicht? , frage ich den imaginären Grauko.
    Das darf es , stimmt er mir zu. Aber nur, wenn du im Anschluss etwas daraus lernst.
    Ich muss wieder eingeschlafen sein, denn als ich das nächste Mal die Augen öffne, ist es hell im Gewölbe und Tycho brät Fleischstreifen. Aureljo hilft ihm, indem er sie mit schnellen Bewegungen in der Pfanne wendet. Sogar Dantorian ist bereits wach und räumt auf. Er bemerkt als Erster, dass ich wach bin, und setzt sich neben mich.
    »Wie geht es dir? Besser?«
    »Ja.« Ob das wahr ist, weiß ich nicht, denn ich empfinde nichts. Als wären meine Gefühle chirurgisch entfernt worden. Unter einer schweren Narkose, die noch nachwirkt.
    »Schau mal. Habe ich heute Morgen gezeichnet.« Es ist ein Porträt von Vilem und wieder einmal bin ich beeindruckt, wie fantastisch Dantorian seine Kunst beherrscht. Mit nur wenigen Strichen fängt er eine ganze Persönlichkeit ein.
    »Es ist großartig. Wenn sie dich in Vienna 2 schnappen und töten, wird das eine riesige Verschwendung sein.« Ich kann sehen, wie meine Worte ihn treffen, und nehme sie sofort zurück. »Entschuldige bitte. Wahrscheinlich wird alles gut gehen.« Gelogen. Egal. »Ich mache mir bloß Sorgen.«
    »Das verstehe ich.«
    Es ist rührend, wie leicht er sich beschwichtigen lässt. Wie gern er glauben möchte, dass alles auf ein glückliches Ende hinsteuert.
    »War heute schon jemand von den Dornen hier?« Ich kann mir die Frage nicht verkneifen und am besten stelle ich sie Dantorian, der mir keinerlei Hintergedanken unterstellen wird.
    »Nein. Sie wissen ja, dass du uns erzählt hast, was geschehen ist. Bestimmt haben sie alle Hände voll zu tun.«
    Ja. Den alten Fürst verbrennen und den neuen einsetzen. Um ihn gleich danach zu stürzen, oder wenigstens zu bekämpfen, so wie Yann das angedeutet hat.
    Dachte ich wirklich, in einer solchen Situation würde Sandor morgens an meinem Schlaflager stehen, entgegen seiner eigenen Ankündigung?
    Nein. Nur gehofft hatte ich es.
    Ich würge zwei dünne Streifen Fleisch hinunter, aus reiner Vernunft, dann flüchte ich in die Bibliothek. Die Tür zu den Treppen ist unverschlossen und einen Moment lang tobt in mir der Wunsch, nach oben zu laufen, in die Halle, wo Vilem vermutlich noch liegt. Sandor wird bei denen sein, die ihn nach draußen bringen, davon bin ich überzeugt. Ich könnte ihn sehen, mit ihm sprechen. Vielleicht.

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