Die Verschworenen
erdrücken.
»Was war die Todesursache?«
Ich hätte das an Aureljos Stelle auch wissen wollen, also quäle ich ein Wort aus mir heraus. »Sepsis.«
»Du lieber Himmel. Und das ohne Schmerzmittel.« Seine Hand streicht mir eine nasse Haarsträhne aus dem Gesicht. »Das sind wirklich furchtbare Nachrichten.«
Ja, aber bei Weitem nicht furchtbar genug, um meinen Zustand zu erklären. Als Tomma vor meinen Augen starb, war ich nicht halb so verstört. Was sagt das über mich aus?
Zu all meinem inneren Chaos gesellt sich nun auch Scham. Mit dem Tod einer Freundin, die ich jahrelang gekannt habe, kann ich kontrolliert umgehen – aber die Zurückweisung eines Mannes, der mir erst vor Kurzem begegnet ist, lässt mich zu einem wimmernden Wrack werden?
Plötzlich verachte ich mich selbst, und das hilft. Ich schlage den Aufruhr in meinem Inneren mit Gewalt nieder. Wische mir das Gesicht mit meinem Ärmel trocken. »Alle sterben sie«, murmle ich und hoffe, die anderen werden das als den Grund für meine Verzweiflung akzeptieren und meinen Zusammenbruch als kurze Episode betrachten, die sich nicht wiederholen wird: Die Nacht, in der Ria dem Druck nicht mehr standgehalten hat.
»Nicht alle«, sagt Aureljo und drückt mich ein weiteres Mal an sich. »Trotzdem ist es kaum zu ertragen. Ich verstehe dich, Ria. Ich verstehe dich so gut.«
»Ich auch«, meldet sich Dantorian. »Und ich wüsste gerne –« Er sucht nach den richtigen Worten. »Ich meine nur … Hat jemand etwas dazu gesagt, wie es mit uns weitergehen wird? Denn es könnte ja sein, dass der neue Fürst uns seine Hilfe entzieht. Dieser Sandor ist merkwürdig, findet ihr nicht? Schwer einzuschätzen.«
Es tut sogar weh, seinen Namen zu hören, gleichzeitig möchte ich ihn verteidigen. Ich bin so dumm.
»Ich glaube nicht, dass Sandor sich gegen uns stellt, aber falls doch, hat immer noch Quirin das letzte Wort«, erklärt Aureljo mit Bestimmtheit. »Er wird nicht aufhören, uns zu unterstützen, und er wird für Ria und Tycho sorgen, wenn wir aufgebrochen sind. Davon bin ich überzeugt.«
Ich auch. Quirin hat es vorhin bekräftigt. Mache Aureljo und Dantorian klar, dass sich ihre Abreise nicht verzögern darf, im Gegenteil. Je früher sie aufbrechen, desto besser .
»Ja, er ist immer noch Feuer und Flamme für euer Vorhaben«, bestätige ich. »Es kann ihm gar nicht schnell genug gehen.«
Damit rolle ich mich in meiner Decke zusammen und drehe mich zur Wand. Noch nie habe ich den Schlaf so sehr herbeigesehnt. Ich werde nicht lang auf ihn warten müssen, alles an mir und in mir ist schwer wie Stein; wenige Augenblicke noch, und ich werde dankbar auf den Grund des Vergessens sinken.
»… harter Schlag für die Dornen. Gerade jetzt …«
»… Ria bisher nie so gesehen. Es muss furchtbar für sie gewesen sein.«
»… kein gutes Gefühl dabei, sie hierzulassen, auch wenn du bei ihr bleibst, Tycho.«
Die Stimmen dringen zu mir wie durch Wasser. Verschwimmen ineinander. Die Worte verlieren ihre Bedeutung.
Trotz meiner Erschöpfung wache ich früher auf, als mir lieb ist. Nun schlafen die anderen, ich höre ihren ruhigen Atem und ihr leises Schnarchen. Alle Lampen sind ausgeschaltet, die Finsternis im Gewölbe ist absolut. Die in meinem Inneren übertrifft sie dennoch.
Obwohl ich mir nichts mehr wünsche, als in den Schlaf zurückflüchten zu können, weiß ich, dass mir das kaum gelingen wird. Zu viele Gedanken kriechen durch mein Bewusstsein, keiner davon ist optimistisch. Dazu wiederholt mein Kopf in einer Endlosschleife Sandors Worte. Ich werde nicht mehr zu dir kommen und du wirst nicht mehr nach mir suchen. Leb wohl. Ich werde nicht mehr zu dir kommen und du wirst nicht mehr nach mir suchen …
Was, wenn ich ihn trotzdem suche?
Ja, höhnt die Ria, die ich bis vor Kurzem noch war. Damit er dich wieder wegstoßen kann. Du hast geglaubt, er denkt und fühlt wie ein Sphärenbewohner, aber er ist anders, er ändert seine Meinung von einem Moment zum nächsten, er ist nicht einmal bereit, dir eine Erklärung zu geben. Er ist ein Prim.
Ich liege da und bemühe mich um einen gleichmäßigen Atem.
Küss den Prim . Ich beiße die Zähne zusammen, um die Attacke meines sadistischen Erinnerungsvermögens zu überstehen.
Sein Mund, seine Hände …
Nein. Ich werde mir das nicht antun. Statt mich von den Gedanken an Sandor zerstören zu lassen, versuche ich, mir meine Lektionen mit Grauko zu vergegenwärtigen. Was hätte er mir in dieser Situation
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