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Die verschwundene Frau

Die verschwundene Frau

Titel: Die verschwundene Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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lassen. Und dann haben er und Mom mich gezwungen.«
    Er zog an seinem T-Shirt, so dass die finsteren Gesichter der Space Berets darauf höhnisch grinsten. Als er den Mund wieder aufmachte, sprach er so hastig and monoton, dass ich kaum verstand, was er sagte. »Sie haben mich gezwungen, in dieses Lager für dicke Kinder zu gehen, wo man den ganzen Tag laufen muss und zum Abendessen bloß Karotten kriegt. Und als das vorbei war, hatten sie Nicola schon festgenommen und vor Gericht gebracht. Ich hab' sie nie mehr gesehen. Ich dachte, wenn sie aus dem Gefängnis abhaut. aber jetzt ist sie tot. Wer hat sie umgebracht? Sie haben Mom gesagt, dass sie zu Tode getreten worden ist?«
    Wenn ich gewusst hatte, dass dieser sensible Junge unser Gespräch belauschte, hätte ich Eleanor ihren Tod weniger anschaulich geschildert. »Der Arzt im Krankenhaus, der versucht hat, sie zu retten, hat gesagt, dass sie seiner Meinung nach geschlagen oder getreten worden ist, aber keiner weiß, wer's war. Ich hoffe, dass ich das herausfinden kann. Hat sie dir je was über die Leute erzählt, mit denen sie in ihrer Freizeit zu tun hatte? Ob sie vor irgend jemandem Angst hatte oder jemandem Geld schuldete?«
    »Eigentlich nur, dass sie Angst hatte, die Leute könnten sie schlagen, weil sie nicht sonderlich groß war. Einmal war Mom so wütend auf sie, dass sie Angst hatte, sie konnte irgend etwas nach ihr werfen. Sie. es war schrecklich, sie hat Mom angefleht, dass sie ihr nichts tut. Ich wünschte. « Er begann zu weinen. »Scheiße, Scheiße, Scheiße. Nur Heulsusen weinen. Scheiße.«
    Bevor ich ihn irgendwie trösten konnte, verschwand er schon ins Gebüsch. Ich setzte mich in den Wagen. Doch dann kam mir der Gedanke, dass der Junge vielleicht noch in Hörweite war, und ich stieg wieder aus.
    »Ich lasse meine Visitenkarte hinter diesem Pfosten«, sagte ich mit lauter Stimme. »Wenn du mich anrufen möchtest - meine Nummer steht drauf.«
    Das Anwesen war so gepflegt, dass nirgends Kiesel oder Zweige herumlagen, mit denen ich die Visitenkarte hätte beschweren können. Schließlich riss ich einen Zweig von einem Busch und legte ihn zusammen mit der Karte hinter den Torpfosten. Als ich das Tor öffnete, hörte ich, wie ein Motor angelassen wurde. Der Mercedes Geländewagen näherte sich mit hoher Geschwindigkeit und hatte mich überholt, bevor ich in die Gateway Terrace einbiegen konnte. Am Steuer saß Mrs. Trant. Sie und Mrs. Poilevy trugen immer noch ihre großen Sonnenbrillen, so dass sie aussahen wie die bedrohlichen Actionspielzeuge am Poolrand.
    Ich lenkte den Wagen hinaus, und bevor ich die erste Kreuzung erreichte, war der Mercedes bereits verschwunden.
    Ein paar Minuten später war ich wieder auf den großen Straßen, wo Bürogebäude und Einkaufspassagen das Anwesen der Baladines wie einen wen entfernten Garten Eden erscheinen ließen. Dort draußen stehen Gebäude unterschiedlichster Größe und Form willkürlich nebeneinander, als hätten die Bauunternehmer es besonders eilig gehabt, die Gegend zu besiedeln. Das Ganze erinnerte mich an eine riesige Schachtel mit Pralinen, die jemand alle gierig angebissen hatte.
    In der Ferne tauchte die imposante Chicagoer Skyline auf. Ich lenkte den Wagen auf den Expressway wie einst König Arthus, der im Nebel Avalon erblickt und voller Freude darauf zureitet, obwohl die pockennarbigen Wohnhäuser und ausgebrannten Gebäude entlang des Eisenhower Expressway auch kein erfreulicherer Anblick waren als die westlichen Vororte.
    Ein Dröhnen im Auspuff des Skylark lenkte mich von meinen Gedanken an die Baladines ab. Ich hatte das, weswegen ich eigentlich zu ihnen gefahren war, nicht bekommen: Die Namen von Leuten, die Nicola Aguinaldo möglicherweise die Verletzungen zugefügt hatten Was hatte ich überhaupt erfahren? Dass die Reichen anders sind als wir Normalsterblichen?
    Nun, anders als ich sind sie allemal. Das Viertel, in dem ich aufgewachsen bin, war Uptown sehr viel ähnlicher als Oak Brook. Bei mir in der Gegend wusste jedes Kind, was ein Pfandhaus war, weil wir oft diejenigen waren, die von unseren Eltern mit dem Radio oder dem Mantel oder was auch immer für die Miete dran glauben musste, hingeschickt wurden.
    Ich wusste dafür nicht, wie das Leben mit einem Kindermädchen war. Redeten die mit ihren Anbefohlenen über ihr Privatleben? Wahrscheinlich konnte man nicht zwei Jahre lang mit einem Menschen unter einem Dach wohnen, ohne etwas über diesen Menschen zu erfahren - immer

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