Die Verstoßenen (Verlorene Erinnerungen) (German Edition)
an.
Sie saß bereits da. Den Kopf gesenkt, auf den Boden blickend. Eng drückte sie
sich gegen das Fenster des Wagens. Stumm setzte er sich neben sie. Er blickte
auch auf den Boden, schämte sich, dass er nichts sagte, dass er sie glauben
ließ, sie wäre allein. Das war unhöflich, doch er konnte nichts tun. Er bekam
kein Wort raus und so blickte er einfach regungslos und still nach unten. Ein
brauner Jutesack trat in sein beschränktes Blickfeld. Er hob erschrocken den
Kopf. Jason lächelte ihn an und hielt ihm den natürlich abbaubaren Beutel
entgegen. Zögernd griff er danach und bedankte sich, sofort erkannte er seinen
Fehler und kam sich dämlich vor. In dem Moment als er das Wort ausgesprochen
hatte, schnellte Ceelas Kopf nach oben. Er konnte sie aus dem Augenwinkel sehen
und erkannte wie sie seinen Blick suchte. Unbeholfen nahm Jay den zweiten
Jutesack entgegen und legte ihn ihr behutsam auf den Schoß. Ihre Augen blickten
in die seinen. Er verlor sich in ihnen und bemerkte kaum, dass Jason schon
wieder vorne stand und durch den Voluminizer um Aufmerksamkeit bat. Sie wand
langsam ihren Kopf ab und richtete ihren Phantomblick auf Jason. Da sie schon
von Geburt an blind war, hatten sich ihre anderen Sinne sehr viel stärker
ausgeprägt als bei anderen Menschen. So konnte sie genau wissen, wo Jason
stand, ohne ihn wirklich zu sehen, sie hörte ihn, sie hörte alles, ziemlich
alles. Sie wusste schon die ganze Zeit, dass Jay neben ihr saß. Sie hörte
seinen Atem, hörte, wie sein Herz gegen seine Brust hämmerte. Sie konnte sich
voll und ganz auf die Geräusche eines Menschen konzentrieren und alles andere
ausblenden. Doch das wollte sie Jay noch nicht wissen lassen, sie kannte ihn
kaum, sollte sie ihm da schon all ihre innersten Geheimnisse und Fähigkeiten
anvertrauen?
Nein, das konnte sie nicht, obwohl sie jedes Mal, wenn sie ihn in ihrer
Nähe spürte, kurz davor war, ihm alles zu erzählen, alles. Die Versuchung
lockte, sie spürte eine tiefe Verbindung zu ihm, es kam ihr vor, als würde sie
ihn schon ewig kennen. Doch sie musste vorsichtig sein, man wusste nie, wem man
vertrauen konnte. Sie war hin und her gerissen. Es tat ihr leid, dass sie ihn
so angeschrien hatte, es tat ihr leid, was sie zu ihm gesagt hatte, es war so
lächerlich, er wollte nur helfen. Doch sie wollte nicht jemand sein, der ohne
andere nicht leben konnte. Verbringt man zu viel Zeit mit Menschen, fangen sie
an, einem etwas zu bedeuten, einem wichtig zu werden. Das konnte sie nicht zulassen.
Sie konnte nicht anfangen ihn zu mögen. Je stärker man liebt, desto stärker ist
der Verlust, wenn dieser jemand einmal geht. Sie konnte es nicht ertragen noch
einen Menschen zu verlieren, konnte nicht mit noch so einem großen Verlust
fertig werden. Dann würde sie ganz zerbrechen. Sie durfte ihn nicht mögen, sie
musste sich vor sich selbst beschützen und so entschied sie sich zu schweigen.
Sie war traurig, er war ein toller Mensch, doch er sollte sich nicht mit Leuten
wie ihr abgeben. Sie fühlte sich einsam und alleine. Sie fühlte sich leer. Doch
sie schwieg, war stark. Und so konzentrierte sie sich wieder auf Jason, auf
seine Stimme:
„So, also die Pakete mit der Kleidung wurden jetzt ausgeteilt und alle
müssten nun eine Auswahl an verschiedenen Sachen in einem Kleidungssack haben.
Richtig?“
Zustimmendes Nicken durchfuhr die Menge. Dann fuhr Jason fort: „Na gut.
Wir fahren nun ein Stück weiter, dann könnt ihr euch umziehen.“
Es brummte, rappelte und der Bus begann zu wackeln, als der Motor
gestartet wurde. Langsam setzte sich das alte Gefährt in Bewegung, wie ein
alter Mann der gerade aufstand. Erst war er wackelig auf den Beinen, doch dann
hatte er seine eigene Geschwindigkeit gefunden. Auch die anderen Busse fuhren
nun los und reihten sich hinter dem Ersten ein. Sie fuhren über den schmalen,
holprigen Weg durch den Wald. Jeder Stein ließ den Bus erzittern. Doch er hielt
sich tapfer und überwand die dicken Wurzeln und die engen Kurven. Nach einer
Weile öffnete sich der schmale Weg zu einem zweigespaltenen Pfad. Ein breiter
werdender Weg und eine kleine zugewachsene Hügelstrecke. Natürlich fuhren sie
den kleinen unscheinbaren Weg. Die Zweige peitschten gegen die Außenwände der
Busse. Am Ende befand sich ein kleines klotzartiges Gebäude. Eine Art Bunker.
Umzäunt und kameraüberwacht. Ungezähmt wucherten lange Pflanzenarme über die
Mauer, hielten sie fest, umklammerten sie. Die Kolonne steuerte auf den Bunker
zu,
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