Die Verstummten: Thriller (German Edition)
die Jungs, aber die drei lachten nur und schüttelten sie ab wie einen Käfer. Endlich, als Leute aus dem Laden kamen, ließen sie sie in Ruhe und fuhren mit ihren Rädern weg.
Flora wollte es zu Hause erzählen, vielleicht lauerten sie ihr morgen wieder auf.
Enni begrüßte sie mit seinem Schlafsack unterm Arm. »Dicke Luft hier. Und nicht nur, weil die Kartoffeln angebrannt sind.«
Der Gestank war ihr auch gleich in die Nase gestiegen. »Ich wohn für ’ne Zeit bei ein paar Kumpels.«
Er klatschte sich mit ihr ab, wie er es sonst nur mit Alex tat. »Pass auf dich auf, Große.«
Leicht gesagt, wenn man siebzehn war so wie er, dachte sie und lief zu ihrer Mutter ins Wohnzimmer, die auf dem Sofa kauerte und verkündete, dass es heute nur belegte Brote zu essen gab, gleich, wenn es nicht mehr so stank.
»Mach nicht die Küchentür auf, der Topf ist total eingebrannt, den kann ich wegschmeißen. Erzähl mir was Schönes. Wie war’s in der Schule?«
Dass Eltern immer dachten, Schule sei schön. Flora erzählte von den blöden Sechstklässlern, die Sara und sie auf dem Heimweg geärgert hatten.
Mama wollte später mit Dirk Riedls Eltern reden, aber eigentlich regte sie sich mehr über Enni auf, darüber, dass er war, wie er war. »Dein Bruder schwänzt die Schule, die Direktorin hat angerufen. Ich weiß auch nicht, wo er sich herumtreibt, wahrscheinlich ist er einfach zu müde, um überhaupt noch zu lernen, weil er bis morgens auf irgendwelchen Partys rumhängt. Und ausgerechnet jetzt, wo ich sowieso so viel um die Ohren habe.«
»Hörst du überhaupt, was deine Tochter dir erzählt?« Enni war zurückgekommen, suchte sich ein paar DVD s aus dem Regal zusammen und quetschte sie in seine Tasche, die ohnehin schon überquoll. »Ich pass auf dich auf, versprochen«, flüsterte er Flora ins Haar, dann verschwand er.
»Gib doch nicht so an.« Mama kreischte und lief ihm nach. »Du kannst ja kaum auf dich selbst aufpassen.« Die Tür schlug zu. Gerade als sie sich wieder zu Flora setzen wollte, klingelte das Telefon. Mama sprach mit ihrem Chef wegen einer neuen Zeitungsgeschichte, als wäre nichts gewesen.
Über Jungs, die Mädchen quälten, sollte sie mal schreiben!
Da Mama auch beim Abendessen nicht noch mal nachfragte, wusste Flora, dass sie es vergessen hatte.
Dann musste sie eben selbst auf sich aufpassen, beschloss sie und rannte mit Sara seither immer ganz schnell am Zeitungsladen vorbei, als würde gleich Dirks Bande herausstürmen. Dann, als ihre Freundin krank war und zu Hause im Bett lag, nahm Flora vorsichtshalber einen Umweg zwischen den Häusern. Sie war ganz in Gedanken, weil sie gerade Enni an der Kreuzung gesehen hatte. Er hatte in einem Cabrio gesessen, aber nicht auf dem Beifahrersitz, sondern hinter dem Steuer. Ob er sie bemerkt hatte, wusste sie nicht. Alex, der neben ihm saß, den Führerschein schon geschafft hatte und mit dem Auto seiner Eltern herumfahren durfte, starrte sie an. Bestimmt glaubte Enni jetzt, sie würde ihn zu Hause verpetzen.
Da trat Dirk mit einem seiner Freunde aus einer Hauseinfahrt. Schnell duckte sie sich zwischen die parkenden Autos. Zu spät. Sie hatten sie gesehen und fingen sie ein. Ihre Heulerei schien sie nur noch mehr anzustacheln. Sie rissen ihr den Schulranzen vom Rücken, leerten alles aus und zertraten ihren Aquarellkasten. Plötzlich raste ein Auto auf den Gehsteig und bremste knapp hinter ihnen. Sie schrie vor lauter Angst auf. Doch dann sprangen Enni und Alex aus dem Cabrio, ohne die Türen zu öffnen, schnappten sich Dirk und seinen Freund, stopften sie in den Kofferraum und schlugen den Deckel zu.
Ihr Bruder half ihr, die Sachen wieder einzusammeln.
»Was macht ihr jetzt mit denen?« Mit dem Mallumpen wischte sie sich den Rotz ab.
Enni lachte. »Jetzt hast du Farbe auf der Nase.« Er rieb auf ihrem Gesicht herum und umarmte sie.
»Ich sag Mama und Papa nicht, dass du Auto fährst«, flüsterte sie ihm zu.
Enni grinste sie an und sprang wieder auf den Fahrersitz. »Keine Angst, die werden dir nie wieder auflauern.«
40.
»Kennst du Olivias Artikel?«, fragte Peter, als sie zu seinem Auto gingen.
Carina schüttelte den Kopf. »Ich lese Frauenzeitschriften nur beim Zahnarzt, und da war ich schon lange nicht mehr.«
»Sie hatte nicht nur eine Kolumne in der Manuela , sondern schrieb auch für Zeitungen. Darunter eine Reportage über diese Lebensbornheime, die Geburtshäuser der Nationalsozialisten. Wenn man ihre Artikel liest, scheint es, als
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