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Die Verstummten: Thriller (German Edition)

Die Verstummten: Thriller (German Edition)

Titel: Die Verstummten: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Fey
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folgte Carina aber auf den Stock gestützt aus dem Arbeitszimmer, alles mit dem Handy am Ohr. Erst am Aufzug, als sie die Treppe nehmen wollte, hielt er sie am Arm zurück. »Einen Moment, Rüdiger, bleib dran.« Er umarmte Carina.
    Wenn er sie fragte, was sie vorhatte und mit wem, würde sie es ihm verraten. Sie schloss die Augen in Haschpapis Wärme.
    »Es sind wieder zwei kleine Mädchen verschwunden«, sagte er. »Ich muss sofort ins Präsidium zurück.«
    »Heißt das, der oder die, die Flora haben, haben zwei weitere Mädchen in ihrer Gewalt?«
    »Wir wissen es noch nicht.« Er nahm das Handy wieder ans Ohr.
    Als sie sich auf der obersten Treppenstufe ein letztes Mal umwandte, stand er noch immer am Aufzug und telefonierte.

55.
    Eigentlich hatte Iris nach der Anzeige und ihrer Geldforderung nie mehr hierher zurückkehren wollen. Das war jetzt über zwanzig Jahre her. Doch nun musste sie noch einmal nach Neumaising, ein allerletztes Mal. Nur noch zwei der Vier waren übrig, und sie ahnte, wo sie sich versteckten. Sie versuchte sich die verhassten Gesichter in Erinnerung zu rufen, doch da war nichts, genau wie bei Calimero, der in ihr gelöscht gewesen war, bis sie ihn im Hospiz wiedersah. Womöglich war das Schwedenhäuschen verfallen oder einem Neubau gewichen, sie würde es herausfinden. Wie 1994 versteckte sie das Auto unter den Bäumen mitten am steilen Berg Richtung Aschering und schlug sich zu Fuß quer durch den Wald nach Neumaising durch. Sollte ein Pilzsammler den Leichenwagen bemerken, würde er hoffentlich nicht gleich die Polizei alarmieren.
    Gleich nachdem sie sich durch das knirschende Laub vom Vorjahr über Krallingers Grundstück vorangetastet hatte,nahm sie eine Bewegung hinter den Fenstern des Häuschens wahr. Hatten sie sie bemerkt? Sie presste sich hinter einen Baumstamm und lugte vorsichtig zur Tür. Felix stützteSalamander, der eine Verletzung am Bein hatte. Warum besaß sie keine Waffe mehr? Zwei Schüsse, und weg wären sie.
    »Den Rest kann ich selber«, hörte sie Salamander zischen. »Oder willst du mir etwa noch den Hosenschlitz öffnen?«
    Felix rauchte, an den Türstock gelehnt, bis Salamander in die Büsche gepisst hatte, und half ihm dann wieder über die Schwelle ins Haus zurück. Sie spähte hinauf. Äußerlich hatte sich am Schwedenhäuschen kaum etwas verändert, nur die ochsenblutrote Holzverkleidung zeigte mehr Risse und fügte sich dadurch noch besser in die Umgebung ein. Alles lag in einem satten, dunklen Grün, als hätte der Wald zu spielen aufgehört und die Leuchtfarben des Frühlings gezähmt. Nichts deutete darauf hin, was hier geschehen war und geschehen würde. Ein Ort der Unschuld, aber waren Orte das nicht immer, bis sie von Leuten wie ihnen befleckt wurden? Das Dach aus Nadeln und Blättern klammerte die Sommerhitze aus, und der Lärm der übrigen Welt verwandelte sich in eine kühlende Hülle aus Summen und Wohlgerüchen. Sie hockte sich auf den Waldboden, duckte sich zwischen die Baumwurzeln, wenn sich Spaziergänger auf der Fahrstraße näherten. Alles war beim Alten geblieben, sogar den Imker gab es noch. Seine bemalten Bienenkästen leuchteten durch das dichte Grün. Minuten verstrichen, dann Stunden. Ihr Magen knurrte. Sie hatte vergessen, sich Brote zu schmieren. Michael würde sich wundern, wo sie blieb, und sicher bald die Angehörigen von Verstorbenen abzuklappern beginnen, die sie angeblich persönlich besuchte.
    Der Mikrokosmos der Insektenwelt vertrieb ihr die Zeit. Schwertransporte von Ameisen, der Ziehharmonikagang einer Raupe über die Rinde, Fressgelage von Blattläusen, die nur noch Astskelette übrig ließen. Fast hörte sie das Gras wachsen, so still belauerte sie den Ort ihres Martyriums.
    Wie hatte sie nur so naiv sein können, zu glauben, sie würde für immer unentdeckt bleiben? Auch wenn Calimero oder Claudio Meier oder wie er hieß, sie wirklich nicht verraten hatte, war es nur eine Frage der Zeit, bis Felix und Salamander sie fanden und umbrachten, wie sie es mit dem Ehepaar Loos getan hatten. Vermutlich waren sie ihr längst auf der Spur. Nicht nur um ihr eigenes Leben bangte sie, auch das ihrer Tochter war in Gefahr. Carina, die Totengesichter formte wie sie.
    Dabei gab es nichts Wichtigeres als Familie. Damals, kurz nach Carinas Geburt, hatte sie geglaubt, ja sie war davon überzeugt gewesen, dass ihr Weg ein anderer als der einer treu sorgenden Ehefrau und Mutter war. In ihrem Job hätte sie ihr Kind in Lebensgefahr gebracht,

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