Die Vertraute des Königs: Historischer Roman (German Edition)
sicherlich niemand umherwandeln –, verriet mir bereits, dass es sich um schlechte Neuigkeiten handeln musste.
Seine Beinkleider waren vom Regen durchnässt, und obwohl er ein kurzes Gewand trug, das sich gängiger Mode entsprechend um die Brust weit bauschte, sprach aus der eingesunkenen Haltung seines Oberkörpers doch unverkennbar eine tiefe Trauer. Er hielt den Kopf nach oben gerichtet und schien die geschnitzten Figuren zu betrachten, die den Türbogen schmückten. Im Näherkommen erkannte ich, dass nicht nur seine Beinkleider feucht und schmutzig waren, sondern auch sein einst knallrot und tiefschwarz leuchtendes Gewand musste dringend getrocknet und ausgebürstet werden.
»Bist du weit gereist?«
Jetzt senkte er den Kopf, um mich anzusehen, und ich bemerkte sofort das Unbehagen in seinen ausdrucksvollen Augen. »Nicht sehr weit. Nach London und zurück. Aber ich war ein paar Tage in der Stadt.«
»Geoffrey – du bist in der Stadt gewesen? Bei der Pestgefahr ?«
»Ich war in Sorge um meine Familie.«
»Wer ist gestorben ?«, wollte ich wissen, eine Frage, die jedem zuerst in den Sinn kam, wenn jemand aus London zurückkehrte.
Er bekreuzigte sich. »Es tut mir leid, es dir sagen zu müssen, Alice, aber deine Mutter, dein Bruder Will und Master Martin Perrers sind alle der Krankheit zum Opfer gefallen.«
»So viele !«, keuchte ich. Ich wäre auf die Knie gefallen, wenn Geoffrey mich nicht an den Ellbogen gepackt und an sich gezogen hätte.
Ich erinnere mich noch an das laute Prasseln des Regens
auf das Portaldach und daran, wie kalt meine Füße durch das von der steinernen Schwelle spritzende Regenwasser wurden. Eine jener sonderbar nüchternen Überlegungen ging mir durch den Kopf, die mich in Momenten unvermittelter Schreckensnachrichten häufig befielen. Ich dachte: Wenn ich in den Saal der Königin zurückkomme, werden meine Tränen aussehen wie Regentropfen, und keiner wird etwas merken.
»Es tut mir so leid, Alice, so unendlich leid. Als ich davon hörte, wollte ich, dass du es sofort erfährst.«
»Wann ist es geschehen?«
»Will ist gestern gestorben. Deine Mutter und Master Martin vor ein paar Tagen.«
»Ich werde zu Vater gehen«, sprach ich in seine Schulter. Dieser Verlust würde ihn furchtbar treffen. Fast noch mehr Sorgen machte ich mir um meine Schwester Mary.
Er klopfte mir sanft auf den Rücken. »Er hat deine Schwester, die ihn trösten kann.«
»Und wer tröstet sie?«
Mein Kopf hämmerte, und als ich nach Luft japste, verlor ich jede Fassung und brach in ein haltloses Schluchzen aus. Geoffrey hielt mich die ganze Zeit in seinen Armen, obwohl der Wind stärker wurde und das kleine Dach über uns nur wenig Schutz bot. Sobald mein Weinen nachließ, führte er mich in die Kapelle, wo er seine Schuhe auszog und das Wasser ausschüttete.
Ich achtete nicht auf meine eigenen nassen Kleider, sondern kniete mich nur hin, um für die Seelen der Verstorbenen zu beten und für die Überlebenden – meinen Bruder John, meine Schwester Mary und Vater. Ich weiß nicht, wann Geoffrey sich neben mich kniete oder wann Gwen eintraf, um mich in einen wärmenden Umhang zu hüllen und sich auf die andere Seite neben mich zu knien. Aber sie
waren beide da, als ich endlich meinen Kopf wieder hob. Gwen wollte mich rasch in meine Kammer zurückbringen, damit ich mich umzog, doch ich winkte ab.
»Geoffrey, du musst mir alles erzählen, was du weißt. Wir können in die Halle gehen und uns ans Feuer setzen.«
»Nein, ich muss mir erst trockene und saubere Kleidung anziehen. Wenn mich irgendjemand so sieht, werden sie sich denken können, dass ich in der Stadt war, und mich fortschicken. Und um ehrlich zu sein, möchte ich im Moment nicht nach London zurück.«
»Du wirst mich nicht hinbringen?«
Er sah mich so entsetzt an, als hätte ich ihn gebeten, eine lebende Ratte zu verschlucken.
»Alice, du kannst doch unmöglich vorhaben, in die Stadt zu gehen, oder? Was, wenn die Königin erfährt, dass du dort warst? Sie würde dich fortschicken. Und wo würdest du dann hingehen?«
Gewiss würde sie meine Zwangslage verstehen. Dies war meine Familie. »Was ist mit dir? Du hast es gewagt.«
»Und ich habe dir die Nachricht über deine Familie überbracht, damit du nicht gehen musst. Außerdem ist es für dich noch immer nicht sicher in der Stadt.«
»Manchmal frage ich mich, ob diese Gefahr nicht hochgespielt worden ist.«
Geoffrey bemühte sich zwar um einen unverfänglichen Gesichtsausdruck, aber
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