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Die Vertraute des Königs: Historischer Roman (German Edition)

Die Vertraute des Königs: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Vertraute des Königs: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Campion
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der völligen Leere durchleiden, während er sich immer stärker zu einer Sagengestalt verwandelte, unerreichbar, unberührbar, unergründlich. Ich musste also lernen, im Schwung dieser schwindelerregenden Taktwechsel selbst mein Gleichgewicht zu finden.
    Wann hatte ich je die Wahl, anders zu sein, als ich war?

1362
    Bei einem der ersten Male, da Vater mich hinunter in seinen Gewölbekeller einlud, sollte ich dort einen Händler aus Hormus kennenlernen, der Spezialist für Perlen war. Er führte ein kleines Werkzeug mit sich, das ihm zum Durchbohren der Perlen diente, und er hatte Vater zu zeigen versprochen, wie es funktionierte. Vater wiederum hatte ganz zu Recht gedacht, dass dies für mich ein unvergessliches Erlebnis sein könnte. Anfangs war es der Händler selbst, der mich in seinen Bann zog. Seine Haut war so von der Sonne gebräunt, dass sie wie abgetragenes Leder aussah, und von den Winkeln seiner dunklen Augen breiteten sich Fältchen fächerförmig bis in die Wülste seines weiß-silbernen Turbans aus. Er besaß die weißesten Zähne, die ich jemals gesehen hatte, und zeigte sie ausgiebig, wenn er mich angrinste. Seine Hände waren von verschiedener Farbe, auf der Oberseite wie dunkles Leder und auf der Innenseite in dem Ton, den ich für ›hautfarben‹ hielt. Er trug viele wundervolle Ringe. Wenn er sich bewegte, verströmte er einen Duft aus Anis, Zimt und Sandelholz. Ich überlegte, wie es
wohl wäre, in einem Land zu leben, in dem alle Männer so herrlich rochen und so fürstlich gekleidet waren.
    Als er eine hübsche, nicht ganz makellos runde Perle in die Hand nahm, die beim Drehen im Lampenlicht ihre Farbe wechselte, fragte ich ihn, was er mit den kleinen Löchern gemacht habe. Schließlich wusste jeder, dass Perlen kleine Löcher hatten, durch die sie unter Wasser atmeten. Zuerst weiteten sich seine dunklen Augen, weiteten sich so, dass das Weiß in ihnen ebenso strahlend leuchtete wie das Weiß seiner Zähne.
    »Damit die Perlen atmen können?«, wiederholte er und riss die Augen noch weiter auf. Dann legte sich sein gesamtes Gesicht in feine Fältchen, und er warf mit einem tiefen, nach Anis duftenden Lachen seinen Kopf in den Nacken.
    Und sein Turban fiel dabei nicht herunter.
    »Alice, wer hat dir denn dieses Märchen über Perlen erzählt? «, fragte Vater, dem die Bemerkung sichtlich peinlich war.
    »Ich dachte, so müsste es sein.«
    Der Händler, dessen Name mir entfallen ist, fragte mich, ob ich jemals eine Auster gesehen habe. Er zog eine unförmige graue Muschel aus seinem Bündel, legte seine dunklen, beringten Hände darum und forderte mich auf, sie genau zu betrachten. Dann hielt er seine Hände dichter an die Lampe und öffnete sie, wobei er zugleich auch die Schale aufklappte. Nun lag in jeder Handfläche ein mit Perlmutt ausgekleidetes Behältnis, das aussah, als wären viele geschmolzene Perlen über die raue Oberfläche geflossen und hätten sie mit Schönheit überzogen.
    Vorsichtig berührte ich die Schicht mit der Fingerspitze und erwartete, dass sie gefroren sein würde wie ein eisbedeckter Zweig, sie war jedoch nur ein wenig kühl. Und hart.
    »Das nennt sich Perlmutter«, sagte Vater.
    Der Händler erklärte mir, dass die Auster eine Flüssigkeit bilde, mit der sie ihre Schale auskleide. »Um es schöner zu haben!«, sagte er. »Ist das nicht ein Wunder?« Und würde einmal ein Sandkorn oder sonst ein raues Teilchen ins Innere geschwemmt, überziehe die Auster es ebenfalls mit dieser perlenfarbenen Flüssigkeit, bis es so weich war, dass es sie nicht länger störte. »Für uns ist es ein Kleinod, für die Auster dagegen eine Art Daunenkissen. Oder vielleicht besser ein mit Seide überzogenes Daunenkissen.«
    »Ist das nicht höchst sinnreich?«, meinte Vater zu mir. »Und jetzt wird er uns zeigen, wie er diese Perle durchbohrt. «
    Der Händler brachte einen überaus schlanken Stahlbohrer zum Vorschein, der über ein Bleirad und einen Riemen angetrieben wurde, und hielt die Perle daran. Das Verfahren war leicht verständlich, dennoch verzog ich das Gesicht, da ich fürchtete, diese wunderschöne Kugel würde beim Durchbohren zerbrechen. Aber es entstand nur ein wenig Staub. Der Händler weitete das Loch noch mit einem Draht und etwas Sand und zog die Perle dann auf einen Seidenfaden auf.
    »Gott segne die Auster«, sagte ich. Ich kann mich zwar nicht daran erinnern, dies gesagt zu haben, aber mein Vater erzählte die Geschichte später immer und immer wieder. Seinem

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