Die Vertraute des Königs: Historischer Roman (German Edition)
ich wusste durchaus um meine eigenen Sünden, meine Begehrlichkeiten und meine Schwächen. Ich hatte den Wert weltlicher Güter für meine Absicherung überschätzt
und der Bedeutung enger Verbündeter zu wenig Beachtung geschenkt. Ich hatte nicht aufbegehrt gegen die Vermählung meines Sohnes mit einer jungen Frau, deren Mangel an Mitgefühl und Achtung mir bekannt gewesen war.
Doch nun stand es mir endlich frei, wie ich den Rest meines Lebens gestalten wollte.
Mein erster Beschluss war, meinen Töchtern einen ganzen Winter lang meine ungeteilte Aufmerksamkeit zuteilwerden zu lassen. Joan war inzwischen fünfzehn, Jane dreizehn, und ich wollte diese Zeit gerne noch mit ihnen genießen, denn schon bald würden sie sich Ehemänner wünschen, und die Aufregung um Brautwerber und Feierlichkeiten würde unser Leben beherrschen. Bella kam häufig zu Besuch. Ihre Äbtissin war eine großherzige Frau. Meine Töchter waren meine Rettung, sie erlösten mich von meiner Trauer, meinen Selbstvorwürfen. Wie hätte ich es jemals bedauern können, diese herrlichen Wesen in die Welt gesetzt zu haben? Zu meinen Lieblingsbeschäftigungen zählte, aus den prachtvollen Stoffen der Kleider, die ich nicht länger trug, hübsche Gewänder für Joan und Jane zu schneidern. Ihr Vergnügen dabei mitzuerleben, lehrte mich, all die mich umgebende Schönheit neu schätzen zu lernen. Obwohl ich im Gedenken an Janyn, Edward und William dunkle Farben trug, war mein Kopfputz gewöhnlich aus Seide, und meine Kleider waren elegant geschnitten und mit jenen Perlen und Edelsteinen besetzt, die mein Bruder für mich gerettet hatte. So spielte ich meine Rolle als hochherrschaftliche Gutsherrin und Wohltäterin der Kirchengemeinde. Meine Töchter liebten es, mich so zu sehen, ebenso wie die Freunde, die uns regelmäßig besuchten. Robert und ich ließen unsere Beziehung noch eine Weile nicht öffentlich werden.
Am meisten freuten wir uns über einen verblüffend häufigen Gast im Hause, nämlich Geoffrey. Er kam und blieb
ohne Pippa, ja, die beiden zeigten sich mittlerweile nur noch selten gemeinsam. »Wir mögen uns nicht sonderlich«, erklärte er auf meine besorgte Nachfrage. »Es ist, wie es ist.«
Ich musste zusammengezuckt sein, als er dies sagte.
»Stimmt das vielleicht nicht, Alice?«
»›Es ist, wie es ist‹ war eines von Edwards Mottos.«
Geoffrey legte die Hände auf sein Herz und verneigte sich leicht. »Verzeih. Das hatte ich vergessen.«
»Da gibt es nichts zu verzeihen. Es ist ein großes Geschenk für mich, dass du mir so bereitwillig zuhörst. Ich bin sehr froh, einen Freund zu haben, dem ich mich anvertrauen kann, ohne Belehrungen oder Verurteilungen fürchten zu müssen.« Abends, wenn meine Töchter und Robert zu Bett gegangen waren, saßen Geoffrey und ich immer noch zusammen und redeten – oder vielmehr ich redete. Ich schüttete meinem alten Freund mein Herz aus, erzählte ihm von allem, was ich geliebt und gehasst hatte, von den Wunschvorstellungen für meine Ehen und meine Kinder, von den Dingen, die ich bedauerte.
Seinen Aussagen zufolge fand er bei seinen Aufenthalten in meinem Haus Anregung für seine dichterischen Bemühungen.
»Und da Seine Königliche Hoheit und die Königin zu meinen größten Bewunderern zählen, muss ich sie mit neuen Versen versorgen.«
Er wurde häufig eingeladen, um bei Hofe zu lesen, eine hohe Auszeichnung.
Eines Nachmittags, als er sich Notizen auf seinen allgegenwärtigen Wachstafeln und einigen Stücken Pergament machte und zwischendurch zur offen stehenden Tür hinaus in den bepflanzten Innenhof blickte, hielt er plötzlich inne und fragte: »Erinnerst du dich noch an die Geschichte von Criseyde, die dich einst so beschäftigt hat?«
»Ich habe sie nie vergessen«, sagte ich.
»Deine Ansichten darüber wollen mir nicht aus dem Kopf gehen.«
»Schreibst du über sie?«
Der nach innen gewandte Ausdruck auf seinem Gesicht schien mir dies zu bestätigen, aber er sagte nur: »Würde es dich stören, wenn deine Lebensgeschichte mir als Anregung diente, mich in Criseydes Leben einzufühlen?«
»Es wäre mir eine Ehre, werter Freund.«
»Inzwischen begreife ich die Sache auch besser – sie hassten dich, weil du ihnen vorgeführt hast, dass ihr König, dieser Mann, der durch Handauflegen heilen kann und der für das Wohlergehen des gesamten Reichs verantwortlich ist, dass auch er nur ein menschliches Wesen war.«
»Am Ende sogar eines mit mehr menschlichen Schwächen, als sie jemals
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