Die Verwandlung - Blutsbande 1
spürte unter der Wolle seines Pullovers, dass sich dort eine perfekte Bauchmuskulatur abzeichnete.
Er stellte den Stuhl auf, der umgekippt war, und half mir, mich hinzusetzen. Dann gab er mir ein Glas Wasser und fing an, das verschüttete Blut aufzuwischen.
Zwischen uns herrschte eisiges Schweigen, aber es gab einige Dinge, die ich wissen musste. Ich fing mit den offensichtlichen Fragen an: „Wie konnte das passieren?“
Nathan stand an der Spüle und wusch das blutige Geschirrhandtuch mit Wasser aus. „Er hat von deinem Blut getrunken, du hast etwas von seinem Blut zu dir genommen. Dann bist du gestorben. So läuft das.“
„Nein“, begann ich. Ich wollte wissen, wie er zum Vampir geworden war, ob John Doe ihn auch einfach so angegriffen hatte, wie er es bei mir getan hatte. Aber ich konzentrierte mich auf Nathans letzte Aussage. „Ich habe sein Blut nicht getrunken. Ich glaube nicht, dass er meines trank.“
„Ist sein Blut in deinen Mund gelangt? Oder in eine deiner Wunden?“ Er lehnte sich gegen die Spüle. „Ein Tropfen reicht völlig aus. Es ist wie ein Virus oder Krebs. Es kann sich jahrzehntelang im Körper befinden, ohne dass es ausbricht. Es wartet, bis das Herz aufgehört hat zu schlagen. Dann zerstört es deine Zellen.“
„Ja, aber ich bin nicht gestorben. Sie riefen mich in den OP, um die Blutung zu stillen …“ Aber das traf nicht so ganz zu. „Oh, Gott. Ich bin in die Schleuse gegangen, in der Notaufnahme. Da bin ich ohnmächtig geworden.“
„Dann ist es dort passiert.“ Er zeigte auf das Wohnzimmer. „Lass uns reingehen. Da ist es netter.“
Ich setzte mich auf die Couch, während Nathan zu den Bücherregalen hinüberging. Er nahm ein Buch heraus und gab es mir. „Das hier wird einige Fragen beantworten.“
Das Buch mit Goldschnitt war in bordeauxrotem Leder gebunden und sah sehr alt aus. Bis auf eine kleine goldene Inschrift in der rechten unteren Ecke war die Titelseite leer. „ Das Sanguinarius“, murmelte ich und ließ meine Fingerspitzen über die geprägten Lettern gleiten. Ich erkannte die Herkunft des Begriffes, das lateinische Wort für Blut. Ich schlug es auf, aber statt eines Impressums stand dort nur ein Hinweis auf das Alter des Buches.
Das Sanguinarius stand dort in großen Buchstaben. Darunter stand in kleinerer Type Ein praktischer Leitfaden über die Gepflogenheiten von Vampiren. Die einzelnen Buchstaben waren ungleichmäßig gedruckt, als sei das Buch auf einer alten Presse hergestellt worden. Es musste mindestens zweihundert Jahre alt sein.
Ich blätterte ein paar Seiten um. „Ein Vampir-Handuch?“
„Nicht ganz. Es ist eine Anleitung für Vampir-Jäger.“
Noch bevor er den Satz zu Ende gesprochen hatte, hatte ich eine Seite aufgeschlagen, auf der sich ein Holzdruck befand, auf dem ein Mann abgebildet war. Er stieß gerade eine Mistforke einem wütenden weiblichen Dämon in den runden Bauch.
„Oh.“ Ich klappte den Buchdeckel wieder zu.
„Grob übersetzt lautet der Titel ‚Diejenigen, die nach Blut dürsten‘“, er lächelte. „Es ist kompliziert. Ich fange lieber von vorne an.“
Ich nickte zustimmend, aber ich hatte eigentlich auch keine andere Wahl. Er setzte sich zu mir auf die Couch, ein wenig näher, als ich erwartet hatte. Aber ich wollte mich nicht beschweren.
„Seit mehr als zweihundert Jahren gibt es eine Gruppe von Vampiren, die sich der Ausrottung ihrer eigenen Spezies widmet, um die Menschen zu schützen. In der Vergangenheit kannte man sie unter dem Namen „Orden der Blutsbrüder“. Heute nennen sie sich „Voluntary Vampire Extinction Movement“ – die Bewegung zur freiwilligen Ausrottung von Vampiren. Für den Orden existierten vierzehn Gesetze, aber die Bewegung verfolgt davon nur drei: Kein Vampir darf einen Menschen ohne dessen Einwilligung beißen. Kein Vampir soll einen weiteren Vampir kreieren. Und kein Vampir darf einen Menschen verletzen oder töten.“
„Die Regeln hören sich gar nicht so schlecht an“, stellte ich trocken fest.
„Heutzutage haben es Vampire viel leichter als früher.“ Er hörte sich melancholisch an. „Der Hauptsitz der Bewegung befindet sich in Spanien, in einer restaurierten Burg, die früher einmal den Inquisitoren gehört hat, aber die Mitglieder der Bewegung sind auf der ganzen Welt verstreut. In diesem Teil des Staates bin ich das einzige Mitglied, aber es gibt in Chicago und in Detroit auch einige Mitglieder, die hauptsächlich dafür sorgen, dass die bösen Vampire
Weitere Kostenlose Bücher