Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die verzauberten Frauen

Die verzauberten Frauen

Titel: Die verzauberten Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Schulz
Vom Netzwerk:
wage. Ich interpretiere das vor dem Hintergrund weiterer Briefstellen so: Er sieht Sophie in einer merkwürdigen Tradition von liebenden Frauen, die immer wieder auftauchen, er sieht sie als reine Poesie , die die Welt retten soll. Und er reflektiert den Verrat an diesen Idealen im Dreißigjährigen Krieg. Warum, das entzieht sich meiner Kenntnis. Clemens beschäftigte sich jedenfalls stark mit diesem Krieg. Er setzte sich vehement für die Rückgewinnung der geraubten Kostbarkeiten der Heidelberger Bibliothek ein. Der Feldherr Tilly hatte den Bestand der berühmten Bibliothek 1632 auf fünfzig Wagen nach Bayern schaffen lassen, von wo er wenig später als Geschenk an den Vatikan kam.«
    »Du weißt eine Menge!«
    »Das ist primitives Schulwissen, Faktenwissen.«
    »1633 wurde dann die Eberbacher Bibliothek geplündert, von Oxenstierna, dem Kanzler des schwedischen Königs.«
    Tibor nickte. »Eine mysteriöse andere Seite ergriff damals die Macht.«
    »Welche andere Seite denn?«
    »Clemens spricht undeutlich davon. Einiges habe ich ja schon erwähnt, unterirdische Weber, traurige Gestalten   … Vielleicht ein geheimer Orden im Kloster Eberbach, im Schoß der Zisterzienser   – keine Ahnung.«
    »Das ist weit hergeholt, mein schlauer Sohn. Aber gut, Liebe, Verhängnis und Dreißigjähriger Krieg also, ich enthalte mich jedes weiteren Kommentars.«
    »Also dann: Am 19.   November 1803 heiraten Clemens und Sophie in Marburg. Er sagt: O liebe Sophie, verlasse Dich und mich nicht wieder, liebe mich, denn ich fühle für uns beide nur Rettung ineinander. Das ist der Beginn seines Unglücks, denn sie bleibt ihm nicht. Im Juni 1804 stirbt sein Sohn Joachim Ariel sechs Wochen nach der Geburt. Ein Jahr später, im Juni 1805, seine Tochter Joachima Elisabetha. Im Dezember 1805 stürzt Sophie beim Aufhängen eines Spiegels, sie erleidet eine Totgeburt. Am 31.   Oktober 1806 um ein Uhr morgens bringt Sophie ein totes Mädchen zur Welt und stirbt selbst. Clemens bricht völlig zusammen.«
    »Das verkraftet kaum ein Normalsterblicher«, sagte Velsmann.
    »Eins ist mir besonders klar geworden«, unterbrach ihn Tibor. »Dieser Dichter war erfüllt von der Sehnsucht nach der reinen, erlösten Welt. Das ist die Begründung für seine Handschrift auf der Prophezeiung, um diese zu bannen, wie er alle seine Lebens-Prophezeiungen auszulöschen trachtete, das war sein lebenslanger Kampf, sich gegen sie zu behaupten. Dafür gibt es etliche Belege, die Handschrift im Kloster ist nur einer davon.«
    »Ich erinnere mich an ein Zitat von Brentano, ich glaube, aus einem Brief an seinen Freund Savigny: Meine Seele ist so gereizt, dass die kleinste Freude wie ein Feuer durch sie rollt, und ich kann wahrlich durch die Berührung heiliger Reliquien geheilt werden. Wer so denkt, der bannt Prophezeiungen durch die eigene Handschrift.«
    »Siehst du!«
    »Du hattest doch höchsten zwei Tage Zeit dafür!«, sagte Velsmann. »Wie hast du das geschafft?«
    »Wie gesagt, es gibt Zeiten, in denen Schlafen nicht angesagt ist. Das können nur wir Jungen. Nein, ich beschäftige mich schon eine Weile mit diesen Dingen, heimlich natürlich.«
    »Sollen wir mal eine Pause machen?«
    »Nicht wegen mir. Ich will dich noch mit ein paar Stichworten vertraut machen. In Eberbach fand man doch als Grabbeigaben mehrere Dinge. Die Handschrift, Kindersachen, eine Schatulle mit einem goldenen Band. Dieses Band findet sich im Werk von Clemens wieder. Er schreibt in der Chronika des fahrenden Schülers an zentraler Stelle: Da ich so gebetet hatte, legte ich zum Opfer meiner Andacht ein güldenes Band zu den Füßen des Bildes, welches ich einstmals von einer frommen Einsiedlerin erhalten, der ich ein andächtiges Lied verfertigt hatte; ich hatte es seither als Zeichen in meinem Buch liegen. «
    »Ein güldenes Band. Und wer ist die fromme Einsiedlerin?«
    »Das könnte mit dem Namen zu tun haben, der am Ende genannt wird. Aber ganz erschließt es sich mir nicht. An der Textstelle gibt es noch andere interessante Details, aber güldenes Band und fromme Einsiedlerin, diese beiden Schlüsselworte stehen eindeutig im Dialog miteinander.«
    Oben klingelte das Telefon. Velsmann lauschte einen Moment, dann hörte er Andrea lachen. Es war also für sie. Andreas Stimme klang entspannt.
    »Ok. Wie geht es weiter?«
    »Die Chronika schließt mit einem Märchen. Diesen Text verstehe ich als eine Umschreibung des Themas sinnliche Liebe oder göttliche Liebe, ich nenne das:

Weitere Kostenlose Bücher