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Die verzauberten Frauen

Die verzauberten Frauen

Titel: Die verzauberten Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Schulz
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bestätigt Ihnen jeder. Er hatte schon als Kind mit Prophetien zu tun, Goethes Mutter Aja hat möglicherweise eine Mitschuld an seinen Dispositionen, sie eröffnete ihm prophetisch das Geheimnis seines Lebens mit den Worten: Dein Reich ist in den Wolken und nicht auf dieser Erde, und so oft es sich mit derselben berührt, wird es Tränen regnen. Das mag ihn schon als Kind mächtig beeindruckt haben.«
    »Wenn es sich nur um ein paar Zeilen eines romantischen Dichters handelt, warum dann diese ganze Geheimhaltung, Herr Rosenthal? Das verstehe ich nicht. Seit zwanzig Jahren schwirrt dieses Thema durch unsere Köpfe. Was ist tatsächlich dran an diesen ominösen Fundstücken aus dem Kloster Eberbach?«
    »Die Labore der Polizei haben ein Geheimnis darum gemacht, das stimmt. Alle Einzelheiten sind noch immer nicht veröffentlicht worden. Vielleicht hängt alles mit der Rheinreise zusammen, die Brentano damals mit seinem Dichterfreund Achim von Arnim unternommen hat. Das war 1801. Eine politisch heikle Zeit, Kriege und Kriegsdrohungen überall. Napoleon stand mit seinen Revolutionsheeren am Rhein. Und dann gab es dieses Verbrechen. Stellen Sie sich einen dreifachen Mord am Rhein vor. Und oben drauf noch einen Selbstmord. Alles, was damit zusammenhing, galt als geheime Staatssache und gilt seitdem noch immer als top secret . Und das ist eindeutig der Politik geschuldet.«
    »Ich erinnere mich, mein Vater sprach von diesem Verbrechen. Wie drückte er sich aus   … der scheußliche Mord . Ich höre noch seine Stimme. Damals habe ich versucht, diesen Ausdruck zu vergessen, ich habe ihn einfach weggelacht.«
    »Ihr Vater hat über dieses Verbrechen einen langen Artikel in der Zeitung der Polizeigewerkschaft veröffentlicht. Haben Sie ihn gelesen?«
    »Nein«, entfuhr es Velsmann überrascht. »Ich kenne ihn nicht mal!«
    »Das müsste ja in den Polizeiarchiven zu finden sein. Lesen Sie das! Es ist gut geschrieben. Ungeklärte historische Verbrechen , so hieß die Rubrik. Und es gab eine ausführliche Diskussion darum. Romantikforscher kamen später auf die Idee, dass es eine Art Tatort-Protokoll des Verbrechens gibt. Ihr Vater kannte diese Diskussion offenbar.«
    »Na schön, es gab natürlich damals in Preußen schon eine Polizeibehörde, die den Fall untersucht hat   – trotz der politischen Umstände. Dazu war die Zivilbehörde verpflichtet.«
    »Nein, ich meine etwas anderes. Eine Art Protokoll, sagte ich. Es ist ein Gedicht. Und raten Sie mal, von wem?«
    »Von   – Brentano?«
    »Exakt. Lore Lay . Im gleichen Jahr entstanden, in dem das Verbrechen geschah.«
    »Das kenne ich doch! Aber, entschuldigen Sie   – ein Tatort-Protokoll ist das doch nicht! Es ist ein romantischer Reim um verlorene Liebe oder ähnliches.«
    »Das ist es tatsächlich. Aber Dichter schreiben eben in einer anderen Sprache. Sie verrätseln und transzendieren. Aber das kann Ihnen ein Sprachwissenschaftler erklären, ich nicht.«
    »Wie waren die Tatumstände dieses Verbrechens? Der scheußliche Mord   – es kommt mir so vor, als sei nur diese Bezeichnung dafür verwendet worden, als würden die, die davon sprechen, einen anderen Ausdruck vermeiden wollen.«
    Rosenthal blickte auf die Uhr. »Ich möchte nicht unbedingt so kurz vor dem Essen darüber sprechen. Sie müssen wissen, das ist unappetitlich. Nicht gerade ein Aperitif. Wenn es sich vermeiden lässt   …«
    »Ich bestehe nicht darauf. Ich kann es ja nachschlagen. Ich werde den Aufsatz meines Vaters lesen.«
    »Nein, passen Sie auf. Ich beschränke mich auf eine Kurzfassung. Aber sehen Sie zu, dass Sie sicher sitzen. Denn das wird Sie umhauen, wie es alle umgeschmissen hat, die davon hörten. Und wenn Sie davon ausgehen, dass Brentano dabei war, als es geschah, dann können Sie sich vorstellen, was es mit ihm angestellt hat. Die romantische Grundeinstellung mag ihn davor bewahrt haben, von der Wucht der Tatsachen zerstört zu werden.«
    Velsmann nickte. Vor der Bürotür waren Stimmen zu hören, die aber bald darauf wieder verschwanden. Er hörte gebannt zu. Der Bericht Rosenthals packte ihn am Hals und zog ihn im Würgegriff in eine Zeit, die durch ein Verbrechen umgestülpt worden war.

    Martin Velsmann musste Andrea beruhigen. Nein, es war nichts Besonderes los. Nein, er genieße nur die Ruhe im Angesicht der schönen Landschaft. Das Licht. Dann könne sie ihn am Nachmittag erwarten? Er dächte schon.
    Velsmann spürte eine eigentümliche Unruhe. Er konnte sich nicht erklären,

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