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Die verzauberten Frauen

Die verzauberten Frauen

Titel: Die verzauberten Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Schulz
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Land hin umwendete, sah er die Seilbahn nach Assmannshausen lautlos dahinschweben. Ein einsamer Tourist verschwand, dicht unter dem bedeckten Himmel, in einem Wolkenschleier.
    Der Felsen ist so jähe, so steil ist seine Wand, doch klimmt sie in die Höhe, bis dass sie oben stand   …
    Velsmann hatte in seiner Laufbahn als Polizist von Serientätern gehört, deren Worte und Erklärungen aus nichts anderem als abartigen Handlungen bestanden. Zu mehr waren sie nicht fähig. Sie waren wie erstarrt.
    Es binden die drei Ritter die Rosse unten an und klettern immer weiter zum Felsen auch hinan   …
    Andere Täter fielen nur dadurch auf, dass ein einziger, vielleicht winziger Defekt in ihrem Leben sie zur Wiederholung schrecklicher Taten zwang. Nur in solchen Momenten wurden sie sichtbar. Ansonsten verschwanden sie in einer Art monströser Normalität und Neutralität. Vielleicht töteten sie, um diesem Grauen zu entkommen.
    Die Jungfrau sprach, da gehet ein Schifflein auf dem Rhein; der in dem Schifflein stehet, der soll mein Liebster sein! Mein Herz wird mir so munter, er muss mein Liebster sein! Da lehnt sie sich hinunter und stürzet in den Rhein   …
    Dichtung und Wahrheit, dachte Velsmann. Was können wir aus solchen Zeilen wirklich herauslesen? Vielleicht überhaupt gar nichts, und ich bin völlig auf dem Holzweg. Ich steigere mich in etwas hinein und leide bald an Verfolgungswahn. Aber es war Rosenthal, der behauptete, das Gedicht sei eine Art Tatort-Protokoll. Ich muss unbedingt mit Kennern reden, dachte Velsmann. Gibt es in Frankfurt am Main nicht dieses Institut, in dem Brentanos Werke archiviert und bearbeitet werden? Das Freie Deutsche Hochstift, genau so heißt es, am Goethe-Haus. Ich muss mir das alles ansehen!
    Er ging zurück zum Parkplatz.
    Die Ritter mussten sterben, sie konnten nicht hinab; sie mussten all verderben ohn’ Priester und ohn’ Grab   …
    Velsmann stieg ins Auto. Aber wieder fühlte er sich wie gelähmt. Er dachte an seinen Großvater, an seinen Vater. Mehr als zwanzig Jahre! Und noch immer saß ein kleiner Junge in ihm und schaute grenzenlos verwundert auf das glitzernde Wasser des Rheins. Und jeder Wassertropfen wurde zu einer geheimnisumwitterten Perle. Nein, dachte er, die Geheimnisse liegen tiefer. Sie sind verborgen. Sie haben nichts mit Ladenschlusszeiten und Verkehrsregeln zu tun. Wir heutigen Menschen wissen gar nicht mehr, dass wir von Wundern umgeben sind. Vielleicht, dachte er, leben wir nur, wenn es uns gelingt, bis dorthin vorzudringen. Dann werden wir selbst zaubern können.
    Die Welt um ihn herum kam ihm plötzlich wie verzaubert vor, oder nahm sie nur wieder jenen ursprünglichen Glanz an, den sie einst hatte als er noch Kind war?
    Velsmann fuhr endlich los.
    Wer hat dies Lied gesungen? Ein Schiffer auf dem Rhein, und immer hat’s geklungen von dem Dreiritterstein: Lore Lay! Lore Lay! Lore Lay!   – Als wären es meiner drei!
    Was für seltsame, schöne Worte!
    Während er durch die Weinberge in Richtung Wiesbaden zurückfuhr, um von dort die Schnellstraße nach Frankfurt und Fulda zu erreichen, dachte er noch einmal darüber nach, was Rosenthal ihm eröffnet hatte. Er bemühte sich, dessen Worte in der Form eines nüchternen Polizeiberichtes zu rekapitulieren.
    1801. Die preußische Polizei findet auf dem Bergplateau, das allgemein als Loreley bekannt ist, die Leichen von drei Menschen und am Fuß des Felsens die zerschmetterte Leiche einer Frau. Alle vier Toten sind bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Ihre Identität kann bis heute nicht geklärt werden, die Behörden geben die Ermittlung bald auf. Vielleicht erklärten sie den Fall auch ganz schnell zur geheimen Verschlusssache. Durch die Wirren der damaligen Koalitionskriege sollte nichts nach außen dringen.
    Was in Erinnerung bleibt, sind die außergewöhnlichen Umstände der Tat.
    Die drei männlichen Leichen gleichen blutigen Klumpen. Ihnen ist die Haut abgezogen worden. Rosenthal behauptete, dies müsse, den Untersuchungsergebnissen nach, bei lebendigem Leibe geschehen sein. Das habe man in den Vierzigerjahren des 20.   Jahrhunderts mit der Entwicklung der gerichtsmedizinischen Methoden herausgefunden. Die preußischen Behörden damals finden drei Menschenhäute, sorgfältig getrennt von den Rümpfen, aufgespannt zwischen Rebstöcken in der unmittelbaren Umgebung. Über die blutigen Überreste der Männer im Gras hatten sich Scharen von Vögeln hergemacht. Über die abgezogenen Häute Scharen von

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