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Die verzauberten Frauen

Die verzauberten Frauen

Titel: Die verzauberten Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Schulz
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Taunus kam. Er erstand an der Klosterkasse eine Eintrittskarte, zusammen mit einer Gruppe asiatischer Besucher, auf die er hinabblicken konnte, und ging durch das Drehkreuz. Ja, Herr Rosenthal sei noch Verwalter, heute sogar im Verwaltungstrakt anwesend, weil eine hohe Delegation aus Hautviller in der Champagne, der Partnerstadt von Kiedrich, angekündigt war, das hatte ihm die Kartenverkäuferin vertraulich erklärt. Velsmann betrat den Innenhof, er hörte Musik von einer Konzertprobe, vor allem Holzbläser, hielt sich linker Hand, betrat die Kirche   – und stand vor dem lachenden Abt.
    Martin Velsmann trat näher heran. Wie jugendlich die Gestalt noch immer wirkte! Er las den erklärenden Text der Legende zur Rechten, die man inzwischen angebracht hatte. Ein Baldachingrab. Ein idealisiertes Menschenbild. Die beinahe körperlos wirkende Figur sah noch immer wie ein Tänzer aus. Velsmann blickte sich wie ertappt um. Er erinnerte sich, wie er als Junge vor diesem Bildnis getanzt hatte. Jetzt beließ er es dabei, die Grabplatte anzustarren. Daneben befand sich die Skulptur eines anderen ehemaligen Mainzer Erzbischofs, Velsmann konnte sich nicht daran erinnern. Adolf   II. von Nassau, las er, gestorben 1475, einhundert Jahre nach Gerlach, dem lachenden Kollegen. Auch an den Fries mit bewegten Figuren, der sich unter den Abbildern befand, erinnerte er sich nicht.
    Plötzlich fror er. Es war kalt in den Sälen mit den dicken Mauern. Damals war es September gewesen.
    Velsmann blickte nach links, dort öffnete sich die Treppe zum Dormitorium. Die Bilder von damals überlagerten die Bilder von heute. Er stieg hinauf. Fünfzehn Stufen. Dann noch einmal drei. Dann stand er vor der Nische mit dem Tresorraum. Hier erinnerte nichts mehr an den Fund, der vor zwanzig Jahren für so viel Aufregung gesorgt hatte. Das mysteriöse Grab war unkenntlich gemacht worden. Nur wer genau hinsah, konnte eine fein gezogene Konturlinie im Boden erkennen, etwa zwei mal zwei Meter. Man hatte es für notwendig erachtet, das Grab unsichtbar zu machen.
    Velsmann schlenderte weiter. Durch das Dormitorium, den weitläufigen Raum, in dem sich die Mönche zu früheren Zeiten in schweren Träumen gewälzt haben mochten. Viel Zeit zum Schlafen hatte ihnen die Klosterordnung nicht gegeben. Er ging an den Wänden entlang, einmal ganz herum. Was für ein Raum! Über einen zweiten Abgang verließ er das Obergeschoss und betrat den Kreuzgang. Als er in den Klosterhof trat, der in früheren Zeiten die Trennung von Laienkloster und Abtei markiert hatte, beschloss er, Rosenthal im Bürotrakt der Verwaltung aufzusuchen.
    »Ja, bitte?« Der Verwalter starrte seinen Besucher an. In seinem faltigen Gesicht lag ein müder Zug, aber die Augen glänzten.
    »Sie erinnern sich nicht mehr an mich, das ist klar. Vor zwanzig Jahren war ich mit meinem Vater und meinem Großvater im Kloster. Mein Vater war der Fuldaer Kommissar Martin Velsmann.«
    »Aber ja, natürlich! Sie waren noch ein Junge! Das sind Sie also! Kommen Sie heran! Das ist ja eine Überraschung!«
    Velsmann nahm Platz. Es roch nach Wein. Die Räume waren dunkel. Viel Grün verbreitete eine Urwaldstimmung. Rosenthal ließ Getränke bringen.
    »Ich fragte mich gerade«, sagte Velsmann, »was damals wirklich geschehen ist. Als Kind habe ich nicht alles mitgekriegt. Ich habe gerade gesehen, dass im Tresorraum das Grab, an dem wir damals standen, wieder beseitigt worden ist.«
    »Mein Gott! Daran erinnern Sie sich! Und sonst?«
    »Was meinen Sie?«
    »Welche Erinnerungen haben Sie an den damaligen Aufenthalt im Kloster?«
    »Sie stellten mir eine Aufgabe, Herr Rosenthal. Ich sollte den lesenden Mönch finden.«
    Der Verwalter lachte. »Und, haben Sie ihn entdeckt?«
    »Sie wissen nicht mehr, dass ich meine Belohnung verlangte?«
    »Nehmen Sie es mir nicht übel, es ist in der Zwischenzeit so viel passiert!«
    »Ja, natürlich. Ich bekam von Ihnen ein Buch zum Ausmalen.   – Aber warum wurde der Fundort inzwischen unkenntlich gemacht?«
    Rosenthal blickte seinen Besucher nachdenklich an. Er suchte offensichtlich nach Worten. Er begann, in seinem Kaffee zu rühren, dann sagte er: »Es war unerfreulich. Wir wollten es loswerden. Und das haben wir ja dann auch geschafft. Allerdings nicht so, wie wir wollten. Die Fundstücke verschwanden damals auf noch immer ungeklärte Weise. Wir wissen inzwischen, aus welcher Zeit die Sachen stammen, auch das Pergament, um das es hauptsächlich ging. Es hat mit Eberbach nur am

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