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Die verzauberten Frauen

Die verzauberten Frauen

Titel: Die verzauberten Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Schulz
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Endzeitprophezeiungen verweisen. Sie entstanden im biblischen Jerusalem. Jerusalem steht im Zentrum von Spekulationen um ein mögliches Ende der Welt.«
    »Sie kennen sich aus, Kriminalrat«, anerkannte Velsmann. »Aber die Loreley ist ja wohl kaum Jerusalem.«
    »Nein, aber nehmen Sie diesen Berg und versenken Sie ihn kopfüber in die Erde. Dann haben Sie die Welt unter den Fundamenten von Jerusalem.«
     
    Velsmann war wieder allein. Ermittlungsarbeit war es eigentlich nicht, was er tat, höchstens kulturgeschichtliche Ermittlungstätigkeit, aus einem kindlichen Interesse heraus. Er schrieb weiter. Musste er Pfedder darüber Rechenschaft geben, was er für den Gewerkschafter schrieb? Es war das erste Mal, dass er sich als Autor betätigte. Er entschied, dass er seinen Vorgesetzten darüber nicht in Kenntnis setzen wollte. Pfedder war auf Gewerkschafter bei der Polizei ohnehin nicht gut zu sprechen. Daraus ergab sich zwangsläufig, dass er die »Gewerkschaft der Polizei« verabscheute.
    Mittags aß Velsmann eine gefüllte Kohlroulade in der Kantine. Eine Sekretärin erzählte ihm von einer Sekte in Süddeutschland, die seit Tagen auf dem Flachdach ihrer Sektenzentrale auf Außerirdische wartete, um der drohenden Katastrophe auf der Erde zu entfliehen. Bisher hatte niemand angedockt.
    »Und was machen deine Kinder, Waltraud?«, fragte Velsmann.
    »Strampeln sich durch die Schule«, erwiderte die junge Mutter. »Sie haben es heute nicht einfach   – zu viele Angebote.«
    Wann war es schon einfach, dachte Velsmann.
    Er rief Andrea an. Sie war am Abend in einer Diskussionsrunde mit sich emanzipierenden Frauen. Ein weiblicher Ehrengast war auch geladen. Velsmann machte einen Termin im Freien Deutschen Hochstift für den Abend aus. Eigentlich wollte er erst am nächsten Tag nach Frankfurt fahren, dann war dort Bauernmarkt, aber alle Arbeitsplätze im Tiefgeschoss des Instituts waren bereits reserviert.
    »Gibt es so viel Interessenten für Brentano?«, fragte Velsmann überrascht.
    »Aber ich bitte Sie, Herr Inspektor«, wies ihn die junge Frau am Telefon zurecht, »wir haben noch andere Gesamtausgaben zu betreuen. Hofmannsthal, Rilke, Hölderlin, Goethe. So einspurig, wie Sie sich das vorstellen, sind wir nicht.«
    Herzlichen Glückwunsch, dachte Velsmann. Dann packte er schon seine Sachen zusammen. Vorher schickte er noch seinen Artikel über den scheußlichen Mord auf der Loreley in die Redaktion.
    Ich bin komplett durchgeknallt, total irre, dachte er auf dem Weg zum Auto. Ein Kretin, der es einfach nicht fertigbringt, sich mit Borussia Fulda und dem Aufstieg der Elf in die Regionalliga zu beschäftigen.
     

    »Und wie geht es jetzt weiter?«
    Am Abend waren Velsmann und seine Frau in ihrer Wohnung zusammengetroffen. Jeder kam aus seiner Richtung, aus seinem kleinen Stück Leben, und freute sich auf den anderen und das gemeinsame Territorium. Mit dem Abstreifen der Straßenschuhe betraten sie ihren privaten Raum, der mehr war als eine Drei-Zimmer-Wohnung in Fulda. Es war ein Stück exterritoriales Dasein, das nur ihnen gehörte, in dem nur ihre Rituale galten. Unausgesprochen lag das schmerzliche Empfinden in der Luft, wie wenig Gemeinsamkeit es in der letzten Zeit zwischen ihnen gegeben hatte.
    Andrea erzählte angeregt von ihrer Runde, Frauen, die aufbrachen, aber noch nicht genau wussten, wohin. Der Anfang war wichtig. Velsmann ließ den scheußlichen Mord in der Schublade, berichtete stattdessen von Aktenstudien und verkaufte Andrea den Ausflug ins Hochstift mit polizeilicher Recherche.
    Er wollte seine junge Frau nicht beunruhigen.
    Oder begann er mittlerweile selbst, an seinen Vorhaben und an seinem Verstand zu zweifeln?
    Beim Schreiben des Artikels hatte er das Gefühl gehabt, jemand sähe ihm über die Schulter. Pfedder war es nicht, den hörte er zwei Räume weiter über das stringente System der Papierkörbe referieren. Ein Detail aus der Vergangenheit war Velsmann eingefallen. Er erinnerte sich plötzlich, wie er als Junge auf der Loreley gespürt hatte, dass ihn etwas Unsichtbares streifte. Und später, im Kloster Eberbach, hatte er die Gegenwart eines Engels zu spüren geglaubt. Na klar, wo sollte es sonst Engel geben, wenn nicht in einem Kloster!
    Überzüchtet, hätte sein Vater geurteilt. Du liest viel zu viel!
    Begann er nicht schon, sich mit diesem Dichter zu vergleichen? Auch der war mit einer Prophezeiung aufgewachsen. Auch Clemens hatte alles, was geschah, schon als Heranwachsender auf sich

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