Die verzauberten Frauen
noch?«
»Nichts.«
»Holen Sie mir einen Stuhl, Küchler.« Velsmann musste sich setzen. Er schloss die Augen und öffnete sie wieder.
Das ist es also, dachte er. So kommt es. Jetzt ist es da.
Um ihn herum flüsterten Beamte. Auch der Fotograf war schon da und blitzte.
Pfedder kam von unten herauf auf ihn zu. »Haben Sie so was schon mal gesehen, Inspektor?«
»Ja«, sagte Velsmann leise. »Vor zweihundert Jahren.«
»Wie bitte?«
»Einen solchen Mord gab es schon einmal. Sie werden es nicht glauben, aber ich beschäftige mich gerade damit. Jemand weiß das. Oder es ist ein verdammter Zufall.«
Pfedder blickte ihn an wie einen Wahnsinnigen. Gleich würde er nach den Pflegern rufen. »Das müssen Sie mir erläutern, Velsmann. Und gnade Ihnen Gott, Sie können es nicht.«
»Seien Sie doch leise, Herr Kriminalrat, Sie wecken ja die Geister.«
Pfedder stieß einen verächtlichen Laut aus und wandte sich ab, um mit dem Staatsanwalt zu sprechen.
Velsmann sah, dass der Gerichtsmediziner eintraf. Sie nickten sich zu. Velsmann beschloss, unbeweglich sitzen zu bleiben, bis Dr. Claus ihm nähere Einzelheiten erläutern würde. Und er wollte bis dahin nicht mehr genau hinsehen. Er wollte versuchen, den Anblick so lange wie möglich von sich fernzuhalten.
»Ein Schlachtfeld«, sagte der Arzt. »Haben Sie begriffen, dass es sich um eine Frau handelt?«
Velsmann blickte den Arzt an, sah seinen unsteten Blick. So hatte er den alten Fuchs noch nie gesehen.
»Das Opfer?«, fragte Velsmann dumm.
»Das Opfer«, sagte Dr. Claus. »Eine Frau. Das kann man sich doch gar nicht vorstellen, oder?«
»Können Sie mir noch was sagen?«
»Im Moment nicht.«
»Behalten Sie auch in Zukunft alles für sich, Doc«, sagte Velsmann. »Ich steige aus diesem Job aus.«
»Wenn so was passiert, fängt man an zu zweifeln«, bestätigte der Arzt.
»Können Sie mir irgendeine Parallele zu dieser Untat nennen?«
»Nicht das ich wüsste, Inspektor.«
»Aber ich. Sie liegt zweihundert Jahre zurück.«
»Ein Trittbrettverbrechen ist damit wohl ausgeschlossen.«
»Sagen Sie das nicht«, sagte Velsmann leise. »Mancher Mord braucht keinen leiblichen Mörder.«
»Wie bitte?«
»Schon gut. Wir sehen uns später auf dem Präsidium. Und sagen Sie mir dann was über das Alter des Opfers, Doc.«
Küchler gestikulierte mit dem Fotografen. Schwan kam zu Velsmann.
»Wenn es sich bestätigt, dass es sich bei dem Opfer um die Bewohnerin dieses Hauses handelt, und das ist im Moment nicht ganz eindeutig, dann handelt es sich um eine alleinstehende Frau«, sagte er. »Geschieden, ein Sohn, der in Frankreich lebt. Seit einem Jahr Archivarin in der Bibliothek des bischöflichen Priesterseminars, davor in Ehrenbreitstein tätig.«
»Sagen Sie das nicht, Schwan, behalten Sie das bloß für sich.«
»Aber ich muss doch …«
»Wie heißt die Tote?«
»Ingrid Kessler.«
»Was hat sie in Ehrenbreitstein getan?«
»Das habe ich noch nicht, wird aber herauszufinden sein.«
»Finden Sie es heraus, Schwan.«
Etwas Ähnliches hatte Velsmann erwartet. Und auch wieder nicht. Er nahm es hin mit dem bitteren Gefühl, dem nächsten Akt eines furchtbaren Dramas beizuwohnen.
»Schafft den Exmann und den Sohn herbei«, sagte er. »Und macht die Nachbarn fit, ich will sie verhören.«
»Inspektor! Kommen Sie mal!«
Velsmann sah, dass der Arzt ihm zuwinkte. Er stand auf und als er auf das Opfer zuging, spürte er das Blei in seinen Beinen. »Ja?«
Dr. Claus wies mit dem Zeigefinger seiner behandschuhten Hand auf eine Stelle in dem blutigen Torso, wo das Herz sitzen mochte.
»Sehen Sie das?«
Velsmann musste sich überwinden, Einzelheiten erkennen zu wollen. Er beugte sich vor. »Was meinen Sie denn?«
»Ein Einstich. Sie ist vor dem Schlachten erstochen worden, mitten ins Herz.«
»Na, wenigstens eine gute Nachricht«, entfuhr es Velsmann.
Der Arzt fuhr mit dem Zeigefinger an den blutigen Überresten entlang, wie an der geschriebenen Zeile einer Buchseite.
»Der Einstich ist so breit, dass er zum sofortigen Tod geführt haben muss.«
»Wenn man dem Opfer die Haut abzieht – geht das nach dem Exitus leichter?«
»Auf jeden Fall. Es kommt aber drauf an, in welchem Abstand nach dem Ableben es geschieht. Der Mörder wird nicht stundenlang gewartet haben, unmittelbar danach ist es ebenso schwierig, wie wenn die Frau noch gelebt hätte.«
Velsmann nickte. Als er sich umdrehte, um den Torso nicht mehr sehen zu müssen, nahm er die vielen
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