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Die verzauberten Frauen

Die verzauberten Frauen

Titel: Die verzauberten Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Schulz
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gewesen, davor Sachbearbeiterin in der Asservatenkammer des Bundesarchivs Koblenz. An diesem Punkt war Inspektor Velsmann natürlich hellhörig geworden. Sie war geschieden wegen seelischer Grausamkeit des Ehemannes, eines Versicherungsmaklers, der Sohn besuchte eine Eliteschule des diplomatischen Nachwuchses in Metz. Alles lag klar und unspektakulär da, ein ausgebreitetes Leben ohne Auffälligkeiten. Es gab nur einen einzigen dunklen Punkt. Nach ihrer Anstellung in Koblenz und vor ihrem Dienstantritt in Fulda war Ingrid Kessler ein halbes Jahr lang verschwunden gewesen. Es gab Anhaltspunkte, sie habe eine Weltreise angetreten. Sie selbst hatte sich angeblich nie dazu geäußert.
    Eine Weltreise, dachte Velsmann, mit welchen Vehikeln? Auto, Flugzeug, Schiff? Das musste herauszufinden sein. Und er musste mit den Verantwortlichen in Koblenz sprechen, die Frau Kessler damals eingestellt hatten. Die Personalakte würde Auskunft über ihr charakterliches Profil geben. Mit den Kirchenbehörden, die Frau Kessler im Priesterseminar beschäftigt hatten, befasste sich Küchler bereits. Velsmann hatte vor einer halben Stunde Sievers angerufen. Der Angestellte des Brentanohauses konnte ihm ein paar interessante Informationen geben, er kannte die Kessler aus Ehrenbreitstein, sie hatte für das Brentanohaus Expertisen erstellt.
    Breitenbach stellte zwei dampfende Pappbecher auf seinen Schreibtisch. »Kaffeemangel fällt heute als Mordmotiv weg. Aber unten stehen Beamte, die pfeifen, wenn ich vorbeigehe. Das gefährdet mich stark.«
    »Setzen Sie sich. Wenn Sie Kinder hätten, was glauben Sie, könnte Ihren Filius dazu bringen, seine Mutter umzubringen?«
    »Nichts natürlich, wenn es mein Sohn wäre. Denn ich wäre eine Top-Mutter. In anderen Fällen gibt es tausend Gründe. Zum Beispiel, wenn ich an meine Tante Elvira denke. Sie wischte mir als Kind immer mit ihrer Spucke Flecken aus dem Gesicht.«
    »Schwan hat herausgefunden, dass der Sohn, er heißt übrigens Jean, schon ganz französisiert, Metz in den letzten sechzehn Monaten kein einziges Mal verlassen hat. Er wohnt ja in dieser Eliteschule. Sechzehn Monate lang hat er seine Mutter nicht besucht. Finden Sie das nicht ungewöhnlich?«
    Breitenbach nippte an ihrem Pappbecher. »Ich sehe meine Mutter zwei Mal die Woche.«
    »Jean hat sich keinen solchen Platz an der Seite seiner Mutter erobern können. Aber ist das ein Mordmotiv?«
    »Zumal er ja von Metz aus morden müsste, kaum denkbar beim Zustand der Leiche, wie Sie ihn mir geschildert haben.«
    »Sie sind mir eine große Hilfe, Breitenbach.«
    »Ich übe noch, der Morgen ist ja noch jung.«
    »Wenn wir mit Sohn und Ex gesprochen haben, sehen wir weiter« sagte Velsmann. »Etwas anderes quält mich. Die Kollegen haben am frühen Morgen die umliegenden Häuser aufgesucht, alles Einfamilien-Bungalows. Zeugenbefragungen widersprechen sich meistens. Aber hier? Jeder behauptet, Frau Kessler im letzten Jahr nicht mehr als einmal gesehen zu haben. Nur ein Nachbar gibt an, einen Satz mit ihr gewechselt zu haben. Er wohnt aber auch direkt nebenan, Zaun an Zaun. Die Frau hat sich unsichtbar gemacht. Das bestätigen alle unisono.«
    »Eine alleinstehende, zurückgezogene Frau, nichts Dramatisches.«
    »Sie ist sechsundvierzig. Sie muss doch irgendwelche Bedürfnisse gehabt haben, die sie mit der Außenwelt in Kontakt brachten.«
    »Na ja«, überlegte Karen Breitenbach. »Außerdem sagten Sie ja, der Mörder habe entweder einen Schlüssel besessen oder sein Opfer so gut gekannt, dass er eingelassen wurde. Das kann zu denken geben.«
    »Eben. Irgendwas an der Außendarstellung stimmt nicht. Die bedauernswerte Ingrid Kessler scheint noch ein zweites Leben neben ihrem offiziellen geführt zu haben.«
    »Was sagen die Mitarbeiter im Priesterseminar? Die müssen sie ja jeden Tag erlebt haben.«
    »Da ist Küchler dran. Mich interessiert mehr, was die Kollegen in Ehrenbreitstein sagen.«
    »Warum?   – Ah, wegen Ihrer Fixierung.«
    »In Ehrenbreitstein laufen viele Fäden zusammen, das wird sich noch zeigen. Ich fahre am Nachmittag hin. Und ich will Sie dabeihaben. Vorher machen wir in Winkel Halt.«
    Pfedder steckte seinen Kopf zur Tür herein. Er sah noch bleicher aus als Velsmann ihn in Erinnerung hatte. »Können wir dann? Ich möchte noch eine Lagebesprechung abhalten, bevor Max und Jean Kessler eintreffen.«
    »Wir kommen«, sagte Velsmann. Er schloss die Augen. Drehte sein Gesicht zum Fenster, von wo Sonnenstrahlen einfielen.

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