Die verzauberten Frauen
ausgezogen, zurechtgelegt und enthäutet. Das ist die Reihenfolge.«
»Ein Sexualmord?«
Spengler zuckte mit den Schultern. »Das wird uns der Gerichtsmediziner sagen. Aber ich kann es mir nicht vorstellen.«
»Welches Motiv?«, fragte Velsmann, der wusste, das spontane Antworten manchmal einen wichtigen Kern offenbarten.
»Kein Motiv. Schwachsinn.«
»Danke, Spengler.«
»Fahren wir ins Präsidium zurück und warten wir die Einzelheiten ab«, sagte Pfedder.
»Wann werden Sohn und Exehemann eintreffen?«, rief Velsmann Küchler zu.
»Maximal in vier Stunden, der Ex kommt aus Heidelberg, der Sohn aus Metz.«
»Bleiben Sie hier bis ich Sie abrufe und empfangen Sie beide«, bat Velsmann. »Dann kommen Sie zusammen ins Präsidium. Schwan soll sich um den privaten Kram kümmern. Um alles, was er finden kann. Jedes kleine Foto ist wichtig, jede Nebensächlichkeit. Wir müssen das Opfer ganz genau kennenlernen, denn wir werden auf kein konventionelles Motiv stoßen.«
Velsmann blickte reihum in die fahlen Gesichter der Männer. Dann ging er mit Pfedder hinaus.
»Übrigens«, sagte Pfedder. »Wann kommt eigentlich die Neue zurück.«
»Breitenbach? Heute Morgen.«
»Sie soll sich reinhängen. Aber um die Tatortspuren muss sie sich nicht kümmern. Sie wird nur auf das Leben des Opfers angesetzt. Da muss doch was zu finden sein, was diese ekelhafte Tat erklärt.«
»Das ist ganz bestimmt der Fall«, meinte Velsmann.
Im Gewitter der Blaulichter stiegen Velsmann und Pfedder in ihre Fahrzeuge. Martin Velsmann blieb unbeweglich sitzen. Neben ihm fuhr Pfedder los. Velsmann blickte durch die Frontscheibe über den abgesperrten Tatort. Ein paar Dinge standen ihm jetzt klar vor Augen. Andere hingegen konnte er nicht einmal denken. Als er den Wagen startete, sah er, dass sich am dunklen Himmel im Osten schon ein heller goldener Streifen Licht gebildet hatte.
Karen Breitenbach sah erholt aus, ausgeruht, gebräunt.
»Wie war die Fortbildung?«, fragte Velsmann.
»Super!«, erwiderte sie und nahm schwungvoll Platz.
»Und was wissen Sie jetzt?«
»Alles!«
»Dann werfen Sie mal einen Blick hier drauf«, sagte Velsmann und schob der neuen Assistentin das bisherige Tatortprotokoll über den Schreibtisch.
»Ist ja putzig«, sagte sie nach einer Weile.
»Was meinen Sie?«
»Wer macht so was?«
»Vielleicht ein frustrierter Metzger?«, schlug Velsmann vor.
»Sie meinen, früher Schweinehälften und jetzt Frauen?«, lachte Breitenbach.
»Ganz genau. Ihre gute Laune erfreut mich. Ich dachte schon, das geht hier so weiter, mit dieser bräsigen Ermittlerstimmung und den zerknirschten Mienen, als wären wir es, die was ausgefressen haben.«
»Scherz beiseite, Herr Inspektor«, sagte Breitenbach. »Was war da los?«
Velsmann gab ihr einen Situationsbericht. »Inzwischen wissen wir«, beendete er ihn, »dass der Mörder vielleicht einen Schlüssel besessen hat oder von der Hausherrin eingelassen worden ist. Es gibt jedenfalls keine Einbruchsspuren, weder an den Türen, noch an den Fenstern. Er kam also hereinspaziert, sagte Guten Abend und legte los.«
»Ein Familienangehöriger?«
»Das wohl nicht. Die beiden einzigen, die zur Restfamilie der Frau Kessler gehören, kommen gerade nachgewiesenermaßen von außerhalb angereist. Ich werde sie nachher befragen, und Sie werden dabei sein.«
»Wer wird noch dabei sein?«
»Pfedder und Amendt.«
»Was ist mit den Nachbarn?«
»Sie wurden verhört, sind aber nicht verdächtig.«
»Das Mordmotiv?«
»Schwachsinn.«
»Wie bitte?«
»Mit anderen Worten: Es gibt kein Motiv, das wir kennen oder das von dieser Welt wäre.«
»Sie meinen, keine Eifersucht, keine Habgier, kein Konkurrenzneid.«
»Wären das Ihre Mordmotive, Breitenbach?«
»Sie meinen, wenn ich mal in Verlegenheit wäre?«
»Ja.«
»Es kämen noch andere dazu. Kaffeemangel am Morgen, Schuhe, die drücken, Mitreisende im Bus, die einen anstarren, blöde Kommentare, weil Roxy Music sich auflöst.«
»Aha. Zum Glück sind Sie nicht Polizistin geworden, Sie hätten sonst jede Menge Verfahren wegen Amtsanmaßung am Hals.«
»Ich werde uns Kaffee holen.«
Martin Velsmann ging noch einmal Wort für Wort die Akte durch, die bisher vorlag. Spengler und sein Team hatten schnell und konzentriert gearbeitet. Dr. Claus hatte das Opfer auf sechsundvierzig geschätzt. Küchler hatte die biografischen Fakten zusammengetragen. Ingrid Kessler war Archivarin in der Bibliothek des bischöflichen Priesterseminars
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