Die verzauberten Frauen
Velsmann schneller. Die Feste türmte sich bald vor ihnen auf. Breitenbach gab sich mit den Informationen zufrieden. Eine Frage wollte sie aber doch noch geklärt haben.
»Warum interessieren Sie sich für das alles auf eine Weise, dass man das Gefühl bekommt, Sie verrennen sich komplett in eine Verschwörungstheorie?«
»Weil ich glaube, dass alles mit allem zu tun hat, ganz einfach.«
»So? Und was meinen Sie damit?«
»Clemens bekam als Kind von Aja Goethe gesagt, sein Leben stünde unter der Fuchtel einer Prophezeiung – und deshalb erlebte er es auch so. Mir sagte etwas als Junge im Kloster Eberbach, alles was geschieht, geschieht nur für mich, es ist für mich gemacht. Und seitdem erlebe ich es so. Mir wurde gesagt, die Berliner Mauer ist ein Teil des Verhängnisses, das über uns steht. Und jetzt sind wir mitten im Schreckensjahr 1983 und irgendwann kommt 2012 und es geht uns an den Kragen. Das ist vorherbestimmt. Und ich bin Teil davon. Und Sie sind Teil davon. Und wir führen die Prophezeiungen weiter, indem wir uns damit beschäftigen und darüber in der Öffentlichkeit sprechen.«
»Und warum das Ganze?«
»Weil wir es nicht verschweigen können. Und vielleicht weil wir hoffen, wir könnten es beenden. Indem wir uns damit beschäftigen, können wir innehalten, wir können sehen, was falsch läuft, und können es korrigieren. Ganz einfach.«
»Und Sie glauben, dieses Pergament, das Brentano im Kloster Eberbach vergrub, das man ausgrub, das in Ehrenbreitstein verschwand und wieder auftauchte, sei eine Art Handlungsanleitung für uns Menschen, anzuhalten, umzukehren? Eine Art Protokoll, wie wir überleben können, wenn wir es richtig anstellen? Und Sie haben es verstanden und steuern nun dagegen?«
»Das sehe ich nicht so. Jedenfalls habe ich es bisher nicht so gesehen. Aber wo Sie es sagen – genau so könnte es sein.«
»2012 geht die Welt unter und im Kloster Eberbach liegt der Schlüssel dafür verborgen?«
»So ähnlich.«
»Was steht eigentlich drin in diesem vorsintflutlichen Leitartikel?«
Velsmann zog die Kopie aus der Jackentasche. »Lesen Sie selbst.«
Breitenbach entfaltete das Papier und las. Nach einer Weile blickte sie durch die Frontscheibe auf die dicken Mauern der Festung Ehrenbreitstein. Dann wieder auf die Zeilen des Papiers.
»Na dann ist ja alles klar«, sagte sie. »Gehen wir.«
Auf dem Weg über die Außentreppen zur Festung Ehrenbreitstein fragte Velsmann seine Mitarbeiterin: »Übrigens, was meinten Sie vorhin damit, als Sie diesen Märtyrer ins Spiel brachten?«
»Bartholomäus? Ach, vergessen Sie den, der ist mir nur so eingefallen.«
»Sicher. Aber warum fiel er Ihnen an der Stelle ein?«
»Vorsicht«, sagte Breitenbach, »die Treppenstufe wackelt.«
»Hier kann man abstürzen«, bestätigte Velsmann und wich aus.
Linker Hand lagen das Rheintal und das hier einmündende Tal der Mosel wie ein gleißender Abgrund, in das die Mittagssonne fiel.
»Sie wissen nichts über Bartholomäus, wie?«, fragte Breitenbach freundlich.
»Es reicht mir, wenn Sie es mir sagen«, meinte Velsmann. »Sie wissen ja anscheinend alles, deshalb habe ich Sie auch eingekauft.«
»Niemand hat mich eingekauft«, berichtigte Breitenbach, blieb stehen und blickte über den gleißenden Abgrund, dann zu den Mauern empor.
»Nun los, geben Sie sich einen Ruck.«
»Ach, das ist doch ganz unwichtig. Bartholomäus war jemand aus dem Haufen um Jesus, dem man bei lebendigem Leib die Haut abgezogen hat.«
»Woher wissen Sie das?«
»Ich weiß alles. Deshalb haben Sie mich ja eingekauft.«
»Erzählen Sie weiter, wir sind gleich oben.«
»Der Mann gehörte zum Zwölferkreis von Jesus am Jordan, einer seiner besten Jünger. Sein Tod war der Preis dafür, dass damals eine Prophezeiung erscheinen konnte, die das Ende der Menschheit vorhersagte.«
»Tatsächlich? Was heißt damals ?«
»Damals heißt, kurz nach dem Tod Jesus’ von Nazareth am Kreuz.«
»Erzählen Sie, wir sind gleich da.«
»Bartholomäus verkündete nach der Auferstehung den neuen christlichen Glauben in Armenien. Er heilte Kranke. Als er die besessene Tochter des Königs Polymios geheilt hatte und zu diesem gerufen wurde, wobei er übrigens durch geschlossene Türen gegangen sein soll, bekehrte sich Polymios zum Christentum. Er ließ ein Götzenbild niederreißen, aus dem ein böser Geist sprach. Der auf diese Weise aufgestörte Teufel wurde von Bartholomäus ans Tageslicht gezerrt und fluchte jämmerlich. Der
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