Die verzauberten Frauen
Magdalena. Sie wohnte in Künzell. Unterwegs erhielt er einen Anruf. Jemand vom Hessischen Rundfunk hatte seine Mobilnummer. Velsmann ließ die Redakteurin reden. Ob es sich bei dem Mord um ein Menschenopfer handele. Nein. Wieso nicht? Das würde die Zuschauer doch anmachen! Und damals auf der Loreley? War das ein Menschenopfer, um das prophezeite Unheil abzuwenden? Ein ritueller Akt? Steckte eine Sekte dahinter? Man wisse doch im Land, welchen Einfluss heutzutage Sekten besäßen!
Nein, sagte Velsmann. Nein.
Was könne er ihr an harten Fakten liefern, forderte die Anruferin. Man wollte den sensationellen Fall unbedingt in die Freitagabendshow über rätselhafte Morde hineinnehmen. Velsmann riet der quasselnden Journalistin, nach Kloster Eberbach zu fahren. Dort sei sie gut aufgehoben, hier störe sie nur die Ermittlungen.
Er schaltete ab. Gleich darauf bekam er ein schlechtes Gewissen. Mein Gott, jeder macht seinen Job, dachte er.
Er war angekommen, klingelte und ging in die Wohnung hinauf. Die beiden Frauen saßen auf den Polstermöbeln und blickten ihm todtraurig entgegen.
»Aber nicht doch«, sagte Velsmann. »Die Welt geht noch nicht unter!«
»Aber wir«, erwiderte Andrea. »Das hält niemand aus.«
Velsmann umarmte erst Magdalena, dann setzte er sich neben seine Frau.
»Es wird alles gut, glaub mir. Ich kriege das hin.«
Andrea blickte ihn mutlos an. Velsmanns Herz begann zu schmerzen. Seine Frau begann zu weinen.
Magdalena sagte: »Sie macht dir keinen Vorwurf. Es ist nur im Moment einfach alles zu viel. Du hast ja keine Schuld. Aber durch deine Arbeit rücken alle diese furchtbaren Dinge so nahe heran! Bis in eure Wohnung! Das ist unerträglich.«
»Weine nicht, Andrea! Ich verspreche dir, wenn –«
»Versprich mir nichts, Martin!«
Andrea legte ihm einen nassen Finger auf die Lippen. Er strich ihr über die Wange.
»Was soll ich sonst sagen …?«
»Man kann kaum noch Radio oder Fernsehen anmachen«, sagte Magdalena und lehnte sich zurück. »Überall reden sie von einem Atomkrieg. Politikern sollte man die Hälse umdrehen. Und diese Prophezeiung? Dieses Gedicht, oder wie soll ich es nennen? Was ist dran an dem Ding, Martin?«
»Warnungen vor einem Weltuntergang gab es immer«, sagte Velsmann. »Wir sollten das nicht überbewerten. Bis 2012 ist sowieso noch viel Zeit. Bis dahin müssen wir unsere Urlaubspläne auf die Reihe kriegen.«
»Ach Martin!«, sagte Andrea. »Mach doch keine Witze. Dir ist doch nicht danach, das sehe ich dir doch an.«
»Es liegt etwas Lähmendes in der Luft«, sagte Magdalena. »Überall wo du hinsiehst, reden die Leute von 1984. Das ist ja auch so eine Endzeitprophezeiung. Oder nicht?«
»Ich bin Polizist, kein Literaturwissenschaftler«, sagte Velsmann.
»Ja, leider«, sagte Andrea leise.
»Ich muss einen Mord in Fulda aufklären. Und ich muss herauskriegen, wer in unserer Wohnung war – und ob es einen Zusammenhang gibt. Andrea, du bleibst am besten hier, bis die Sache geklärt ist. Ich bleibe in unserer Wohnung und werde einen zusätzlichen Riegel an der Tür anbringen lassen. Für alle Fälle.«
»Hast du schon einen Verdacht?«, wollte Magdalena wissen, die pragmatischere von beiden Schwestern.
Velsmann verschwieg den Text der Nachricht, die am Tatort gelegen hatte.
»Nein, leider nicht. Vielleicht ein Drogendelikt. In Fulda nehmen die Dealereien ja immer mehr zu, jemand wollte sich vielleicht Geld beschaffen.«
»Glaubst du das wirklich?«
»Es hat jedenfalls nichts mit mir und Andrea zu tun, das ist wohl klar.«
»Es ist gar nichts klar«, flüsterte Andrea. »Und du weißt auch gar nichts.«
»Aber warum, um Gottes Willen, eure Wohnung«, sagte Magdalena. »Das ist doch kein Zufall! In eurer Gegend gibt es doch keine Drogenszene.«
»Wir werden sehen«, sagte Velsmann ausweichend.
»Ich weiß noch nicht, was ich tun werde«, sagte Andrea. »Ich teile es dir mit. So geht es jedenfalls nicht weiter.«
Er umarmte Andrea zum Abschied und küsste sie. »Ich muss wieder los. Ich melde mich, sobald ich kann.«
Im Treppenflur atmete Velsmann auf, obwohl er keinen Grund dafür hatte. Es war besser gegangen als er befürchtet hatte. Andrea war dann doch ziemlich gefasst gewesen, er hatte nicht unnötig abwiegeln müssen. Bei ihrer Schwester war sie gut aufgehoben.
Er fuhr ins Präsidium.
Schon als er ankam, empfingen ihn Pfedder und Amendt. Er sah ihren Gesichtern an, dass es etwas außer der Reihe gab.
»Kommen Sie in mein Büro, Herr
Weitere Kostenlose Bücher