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Die verzauberten Frauen

Die verzauberten Frauen

Titel: Die verzauberten Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Schulz
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einer neuen Reihe.
    Als der Fund aus dem Grab im Kloster Eberbach an die Reihe kam, zögerte er einen Moment. Der Fahrer des Gabelstaplers rief ihm die Objektnummer herüber. Sennsler versuchte, sich an die Geschichte der Einlagerung dieses Stücks zu erinnern. Es war so lange her! Genau fünfzig Jahre! Mehr als ein halbes Leben, fast eine ganze Berufszeit. Wie viel Wirbel hatte es gegeben um diesen Fund. Aber auch der war nun auf sein Normalmaß reduziert worden, man hatte ihn herabgestuft, er konnte eingelagert und verstaut werden. Sie regen sich am Anfang immer gern auf, dachte Sennsler und gab dem Fahrer das Zeichen, die Kiste einzusortieren, und irgendwann später verliert die ganze Angelegenheit an Bedeutung. Wie ein teuer glänzendes Stück vom Flohmarkt, das man unbedingt wollte, und wenn man es zu Hause auspackt, ist es nur noch ein benutztes Teil.
    Es musste nur noch abgearbeitet werden.
    »Weg damit!«, rief Sennsler. »Auf die Müllhalde!«
    Er lachte. Der Fahrer lachte. Der Fahrer rief: »Die Müllhalde der Geschichte, Kollege!«
    »Na, was sonst«, rief Sennsler. »Auf der Müllhalde endet alles. Ruhe in Frieden!«
    Er wollte es gern, aber er hatte keine Zeit, sich mit dem Fund aus dem Kloster und mit allem, was damals geschehen war, zu beschäftigen. Denn schon kamen die nächsten Fahrer, ein Schwarm von Schatzsuchern, die ihr Stück vorzeigen wollten; in einer endlos langen Reihe von roten Gabelstaplern, auf deren gusseisernen Armen Kisten mit Objekten lagen. Auf jeder Kiste Hieroglyphen, mit Schablonen aufgemalt. Für ihn waren das keine fremden Zeichen, er kannte beinahe jedes einzelne auswendig und war stolz darauf.
    Alle sind wichtig, dachte Sennsler. Und wer besonders wichtig sein will, der bekommt auch nur einen Stempel und danach einen Tritt.

    »Die Welt ist noch da«, sagte Martin Velsmann. »Das ist verwunderlich. Aber vielleicht glauben wir nur zu gern den düsteren Mahnern. Warum halten wir uns nicht lieber an diejenigen, die uns eine glückliche Zukunft vorhersagen? Haben wir Angst davor, lächerlich zu erscheinen?«
    Andrea drehte ihm den Rücken zu, ließ dabei aber einen zustimmenden Laut hören. Sie hatte einen Sampler aus den Achtzigerjahren aufgelegt und Marc Bolan begann gerade damit, den Cosmic Dancer zu singen. Velsmann bewegte sich instinktiv in den Hüften, aber er musste sich auf das Decken des Tisches konzentrieren, und Andrea brachte schon die Suppenschüssel.
    »Jetzt wird gegessen«, sagte sie, und die beiden Kinder schauten sie mit so großen, hungrigen Augen an, dass sie lachen musste. »Ich hoffe, ihr habt Appetit auf Winzersuppe.«
    Velsmann erklärte, das sei seine Lieblingssuppe, Tibor und Laila äußerten sich nicht. Andrea teilte mit dem Schöpflöffel großzügig aus.
    »Papa, das hörst du andauernd, obergruftig. Was ist das überhaupt, ein Cosmic Dancer ?«, wollte Laila wissen.
    »Ich muss den Text mal übersetzen«, erklärte Velsmann zwischen zwei Löffeln Suppe. »Der Song hat mir früher gefallen. Ich wollte als Junge selber Tänzer werden, hörst du:   – I want to dance when I was twelve, I danced myself   … Das könnte von mir sein.«
    »Wieso, hast du Songs geschrieben?«, fragte Laila nach.
    »Oh nein. Aber in der Zeit, in der der Song damals rauskam, fand man es chic, sich mit kosmischen Phänomenen zu beschäftigen, oder zumindest so zu tun als ob. Man hatte das Gefühl, es könnte was Größeres hinter dem Normalen geben.«
    » Compex schreibt, Internet und Universum seien identisch«, schaltete sich nun auch Tibor in das Gespräch ein.
    »Wer ist Compex ?«, wollte Andrea wissen.
    »Ihr wisst aber auch gar nichts   – meine Zeitschrift!«
    »Ja, fallt ruhig über eure halb verblödeten Eltern her«, sagte Velsmann. »Das hat ja keinerlei Konsequenzen. Wir drohen nicht mal mehr mit Umzug und Trennung.«
    »Zum Glück ist der Scheiß vorbei«, ließ sich Laila vernehmen. »Das hat echt genervt. Aber jetzt ist es schön.«
    »Es war nicht alles Scheiß«, korrigierte Velsmann. »Jedenfalls nicht für mich. Der Dienst in Fulda hatte auch seine schönen Seiten. Ich war mit netten Kollegen zusammen.«
    »Und mit Arschlöchern, die dir im Auftrag von irgendwelchen anonymen Tonangebern Steine in den Weg geworfen haben«, sagte Andrea lakonisch.
    »Das meine ich doch gar nicht!«, sagte Laila. »Ich meinte das dauernde Hin und Her mit den Umzügen. Einer von euch war immer unterwegs. Ihr seid doch wie blöde rumgerannt, um nicht zusammen sein zu

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