Die verzauberten Frauen
müssen.«
»Na ja, auch Tibor hat es schließlich vorgezogen, drei Semester in Tel Aviv zu studieren und nicht in Potsdam.«
»Weil ich da bessere Bedingungen hatte, Papa!«, sagte Tibor.
»Ist schon klar, Sohn.«
»Jetzt trennen wir uns nie mehr«, sagte Andrea lachend. »Meine Phase der Emanzipation ist beendet.«
»Gegen Weltende muss man zusammen sein, Vater, Mutter, Kinder«, grinste Martin Velsmann. »Ihr kennt ja die Prophezeiungen.«
»Heute kannst du darüber lachen«, freute sich Andrea. »Es gab eine Zeit, da bist du bei dem Gedanken daran schier durchgedreht.«
»Das ist vorbei«, nickte Velsmann. »Manchmal frage ich mich wirklich, warum wir uns früher so aufgeregt haben.«
»Ihr wart jünger, ganz einfach!«, meinte Laila.
»Ich glaubte damals, dass sich alles wiederholt«, sagte Velsmann.
Alle starrten ihn fragend an. Aber Velsmann reagierte darauf nicht.
»Noch Suppe?«, fragte Andrea in die Runde und erntete nur ein ablehnendes Brummen.
»Dann stelle ich mal das Samstagsprogramm vor«, sagte Velsmann. »Heute wird sich gefreut, das gilt für alle. Wir fahren nämlich den Rhein hoch, durchs Wispertal und Schlangenbad und über Hausen zurück nach Eltville. Wenn ihr brav seid, fällt auch noch ein Besuch im Kloster Eberbach ab.«
»Was sollen wir denn da!« Lailas hübsche Lippen schmollten.
»Da gibt es Wildschweinsülze mit Bratkartoffeln.«
»Immer wollt ihr nur essen«, maulte Laila. »Ich will nicht so viel essen. Auf der Modeschule hassen alle Mädchen das Essen. Ich komme mir schon richtig pervers vor.«
»Bratkartoffeln sind nicht pervers«, klärte Andrea auf. »Nur Mädchen mit Bulimie denken das.«
»Ich bin kein Mädchen mit Bulimie«, stellte Laila richtig.
»Das wollte ich auch nicht sagen, Schatz«, beeilte sich Andrea.
»Aber immer wenn wir mal was zusammen machen, redet ihr nur vom Essen, das ist Fakt.«
Tibor sagte: »Man kann nicht immer nur Pixel fressen.«
»Das ist dein Problem, Freak, nicht meins«, sagte Laila und schob ihren Suppenteller in die Tischmitte.
»Wir sind als Familie durchaus in der Lage, uns mit anderen Dingen zu beschäftigen als mit Mahlzeiten«, meinte Velsmann. »Aber hin und wieder muss man durchaus Wildschweinsülze essen. Schon rein statistisch gesehen. Es gibt viel zu viele Wildschweine. In Berlin werden sie jetzt schon an der Gedächtniskirche gesichtet.«
»Du machst Witze«, vermutete Tibor.
»Nein, das stand in der Tageszeitung. Sie kommen aus dem Tiergarten.«
»Woher sonst«, merkte Tibor an.
Andrea lächelte. »Das habe ich mir mein ganzes Leben lang gewünscht. Das wir zusammensitzen und uns über Wildschweine unterhalten. Ich habe es mir in Fulda gewünscht, ich habe es mir in Kiel gewünscht, ich habe es mir drei Jahre lang in Rostock und in Barth gewünscht. Selbst als ich auf dem Grund der Ostsee herumtauchte, um nach Vineta zu suchen, habe ich diese Szene vor mir gesehen. Und ich habe mich so sehr darauf gefreut.«
»Warum habt ihr die versunkene Stadt eigentlich nicht gefunden?«, wollte Tibor wissen.
»Es gibt sie nicht. Sie war ein verwunschener Traum. Aber nach irgendwas Verborgenem sucht man ja immer.«
»Wieso denn? Nein«, sagte Laila.
»Wir hätten schon viel früher nach Eltville ziehen sollen«, befand Velsmann. »Erst seitdem wir hier wohnen, fühle ich mich wohl …
»Ich kenne deine Haltung, Martin. Wenn du einmal durch bist mit einer Phase, dann verteufelst du sie total.«
»Ich würde jedenfalls nirgendwo anders mehr wohnen wollen als im Rheingau. Hier kann ich durchatmen. Wie sieht es bei euch aus?«
Alle drei stimmten ihm zu. Velsmann überlegte kurz, was das bedeutete. Dann sagte er: »Manche Entschlüsse trifft man in seinem Leben einfach zu spät.«
»Deshalb«, erwiderte Andrea und erhob sich schon, »sollten wir jetzt aufbrechen. Es wird Zeit, damit wir uns nicht hetzen müssen.«
Sie räumten gemeinsam den Tisch ab.
Wenig später holte die Familie ihren roten Octavia aus der Garage des kleinen Hauses mit Rheinblick in der Nikolausstraße und Velsmann fuhr los.
Laila ließ die Seitenscheibe herunter und sang. Tibor hielt sich die Ohren zu. Andrea studierte die Autokarte. Velsmann bemerkte, er würde den Weg zum Wispertal im Schlaf finden.
»Und wo müssen wir zur Loreley abbiegen?«, wollte Andrea wissen und beugte sich über die Karte.
»Im Schlaf«, sagte Velsmann. »Wenn ich eingeschlafen bin, sage ich dir, wo wir abbiegen.«
»Bei St. Goar, wo die Open-Airs stattfinden«,
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