Die verzauberten Frauen
er fremde Männer gesehen, die in seinem Wohnhaus ein und aus gingen. Er wusste aus allzu langer Erfahrung, das war verdächtig. Zuerst war es ihm harmlos erschienen. Er stand im Restaurant gegenüber an der großen Frontscheibe und blickte auf die andere Straßenseite, es waren Angestellte in Kitteln gewesen, irgendwelche Lastenträger, Lieferanten. Unter dem Dach zog eine junge Frau ein. Dann waren mehrere Frauen gekommen. Besucherinnen? Oder nicht tatsächlich Vollstreckerinnen? Seine Welt war ja voller Feinde. Seine Kollegen und Freunde sahen ihn auf einer Position, die er überhaupt nicht einnahm. Er war ja harmlos. Man schickte ihn vor, hielt ihn für durchsetzungsfähig. Aber in Wirklichkeit war er schwach und hatte Fehler gemacht. Und im Augenblick tat ihm der Kopf weh, als wollte er zerspringen, und er konnte ihn nicht einreiben.
Er hatte gezählt und abgewartet, und alle Fremden hatten nach einer gewissen Zeit das Haus wieder verlassen.
Bis auf eine.
Er ließ sich Zeit. Er stand in einem endlosen Strom von Zeit. Die Kneipe schloss, an diesem Ort schlossen alle Kneipen zum falschen Zeitpunkt. Er musste auf die Straße. Er sah, dass in seiner Wohnung kein Licht brannte. Aber das konnte trügerisch sein. Er kannte die andere Seite, sie war schlau, ihre Geduld war noch größer als die seine. Nach und nach verloschen die anderen Lichter in den Etagenwohnungen. Er wurde ruhiger. Der Kopfschmerz ließ nach. Aber er war in dieser Nacht nicht in Sicherheit.
Er ging umher, verließ seine Straße und blickte auf den Fluss. Die Wasser strömten unten im Mondlicht. Seine Gedanken wirbelten und flossen nicht ab. Sein Mund war kalt und trocken. Er musste sich mit Sätzen retten, die er immer zur Verfügung hatte. Sätze, die von ihm wegführten, die sich in das Leben der anderen hineinbohrten.
Er holte sie aus der Tiefe herauf und dachte sie.
Die Söhne, die sie gezeugt haben, dachte er …
Er stand hocherhoben da wie aus Stein.
… sie erben ihre Laster, sie sind unglücklich, undurchschaubar, sie sind …
Er schwankte leicht.
… sie sind umso empfänglicher für die Befehle, die man ihnen gibt, das ist wahr, aber es wird dadurch nicht schön. Sie führen sie aus, weil sie nicht geliebt werden wollen.
Ein Nachtwind war aufgekommen. Ein lauer, gestaltloser Wind, der nichts wirklich berührte.
Sie haben keine Freude bei den Menschen, dachte er, sie verhalten sich gehässig und neidisch und böse, auch wenn sie klug und brauchbar sind …
So wollte er nie sein.
Sie sind wie gewöhnliche Steine, dachte er, die ohne Glanz herumliegen, als wären sie ausgelöscht, und sie werden unter den glänzenden Steinen nicht geschätzt, weil sie kein schönes Aussehen haben. Und doch sind sie unter uns. Und sie geben weiter, was man sie zu lernen gezwungen hat. Ihr fettes, weißes und trockenes Gehirn lässt ihre Haut verblassen wie das ihrer Opfer, wenn sie mit ihnen fertig sind. Ihr Leib ist weich wie das Fleisch von Frauen, auch wenn ihre Glieder kräftig sind.
Er schüttelte sich. Er wollte nicht sein wie sie.
Aber er wusste, er war wie sie.
Er blieb regungslos stehen und schaute. Die Nacht wanderte weiter, über ihn hinweg.
An diesem Tag besaß er keinen Mut und keinerlei Entschlossenheit. In Gedanken war er wie jeden Tag kühn wie das Feuer, dessen Flamme plötzlich auflodert. Mit seinen Worten, das sah er voraus, würde er Mut zeigen wie jedes Mal, wenn sie ihn riefen, aber seinen Taten fehlte jeglicher Mut. Wollte er zu stark das Gute, das Versöhnliche? Versagte er, wenn er seiner Bestimmung folgen sollte? Ich hasse zu wenig, dachte er. Ich meine es zu gut und liebe die Frauen in ihrer natürlichen Schwäche, weil sie in ihrer Schwäche wie Knaben sind.
Und können sie deshalb wirklich unser tödlicher Feind sein, wie man uns seit Jahrhunderten lehrt?
Ich bin manchmal auf ihrer Seite, dachte er. Und dabei will ich doch sein wie der Pflug, der die Erde umgräbt und der den Samen aufnimmt.
Ich bin, dachte er, ein allzu brüchiges Gefäß, wie ein Halm in trockener Erde, der das Korn verliert. Ich bin kalt. Der Sturm der Leidenschaft wirbelt mich nicht wie ein Mühlenrad herum, sondern ich bin wie dieser Wind, der am Morgen einschläft.
Will ich wirklich gerettet werden?, dachte er entsetzt.
Ich bin doch hier, um Rettung zu bringen.
Er setzte seinen Weg fort. Die Starre, die ihm seine Gedanken aufzwangen, dieses Korsett, das ihm Nichtstun zu befehlen schien, fiel von ihm ab. Endlich konnte
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