Die Visionen von Tarot
strahlend. „Deswegen frage ich dich ja, Daddy.“
Bruder Paul dachte über die Frage nach und ließ für den Augenblick all die anderen Sonderbarkeiten dieser Reise außer acht. Es hatte nämlich wirklich einmal einen Will Hamlin gegeben …
Paul hatte Wilfried G. Hamlin zuerst im Alter von achtzehn Jahren als frischgebackenen Student kennengelernt. Paul ging umher und befragte die Lehrkräfte, wie es in diesem kleinen, ungewöhnlichen Institut der Brauch war. Er versuchte herauszufinden, welche Kurse am besten seinen angeborenen intellektuellen Bedürfnissen entsprachen.
Eigentlich war Paul auch wegen dieser Besonderheit an dieses College gegangen. Es forderte keine irrelevanten Eintrittsbedingungen, veranstaltete keine Prüfung, verlangte keine Abschlüsse und stellte keinen bestimmten Lehrplan auf. Die Studenten redeten mit den Dozenten, von denen jeder eine kleine Anpreisungsrede für sein Seminar hielt, und wählten dann die für sie vielversprechendsten Kurse aus. Wenn sich eine zu geringe Anzahl von Studenten für ein Seminar entschied, wurde dieser Lehrgang noch vor Beginn aufgelöst. Irgendwie klappte es aber in jedem Semester, wenn es auch anfänglich immer unmöglich und chaotisch erschien. Die Kurse selber bestanden hauptsächlich aus Diskussionen und weniger aus Vorlesungen; die Lehrer versuchten lediglich, ihre Meinungen darzulegen und die Hauptgesichtspunkte während der Diskussionen zu erläutern. Alles lief sehr entspannt ab: Bildung ohne Zwang.
Will Hamlin war ein kleiner Mann ohne besondere Merkmale, abgesehen von einem leichten Stottern. Er bewohnte ein winziges Loch als Büro, das an der unfertigen Wandelhalle zum Heuschober-Saal lag.
Bruder Paul schüttelte in der Erinnerung daran den Kopf. Drei Jahre später hatte er ein bestimmtes Abenteuer in dieser Halle erlebt – aber das würde ein Kind kaum interessieren.
„Doch, Daddy!“ beharrte Carolyn. „Erzähl mal, Daddy!“
Mmm. Nun gut.
Einer von Pauls Kommilitonen, nennen wir ihn einmal Dick, und ein weiterer Junge, den wir Guy nennen – wenn auch vielleicht noch zwei weitere Leute bei dieser kleinen Eskapade beteiligt waren … Nun, also die drei und ihre drei Freundinnen, die wir mal namenlos lassen … (Nein, Carolyn, das ist einfach meine Art von Moral, man sagt nämlich nichts gegen Mädchen, wenn man es vermeiden kann. Sie sollen unbeschadet bleiben.) Die Großmutter (oder war es der Großvater? Bleiben wir bei der ersteren) einer dieser sechs hatte damit angefangen, Wein selber zu machen, und ach, es gab auch eine erste Weinprobe im College. Löwenzahn wein aus heimatlichem Unkraut – der auch nicht sehr gut schmeckte. In wahrhaft kollegialer Art und Weise haben diese klugen jungen Leute – und sie waren ganz schön klug, wenn auch diese Handlung nicht auf ihre schulischen Leistungen Rückschlüsse zuläßt – beschlossen, diesen Wein zu verbessern, indem man ihn destillierte. Im Chemielabor errichteten sie über Nacht eine kleine Brennerei (die Nacht war ihre Tatzeit, denn am Tag mußte man schlafen und manchmal die eine oder andere Vorlesung besuchen), und nach verschiedenen Mißgeschicken im Dunkeln gelang es ihnen, eine Essenz herauszufiltern: vielleicht eine Tasse voll hundertprozentigen Alkohol. Aber der schlechte Geschmack des Originals war durch das Brennen nur noch intensiver geworden – nun schmeckte das Konzentrat wie die Inkarnation aller Scheußlichkeiten. Was sollte man also damit anfangen? Sie trugen es zurück zum Heuschober-Saal, aber in der Halle vor Wills Büro spritzten sie drei Tropfen wie Blut auf den Boden. (Im
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