Die Visionen von Tarot
der Fluggäste fragen? Oder würde das die Spielregeln verletzen?
Vielleicht wartete der richtige Vater des Mädchens am Flugsteig – das wäre eine passende Stelle – und diese Verwechselung von Identitäten oder was sonst immer es war würde aufgeklärt. Er hatte anderes zu tun und sich bereits zu lange ablenken lassen. Vielleicht hatte ihn dieser falsche Flughafen angezogen, weil er eigentlich keine Lust zu einer weiteren Dorfversammlung mit einem weiteren Fehlreport hatte. Aber er würde sich doch davon nicht so einfangen lassen!
Nun wurden sie durch die Detektoren gedrängt – es summte nicht – und hinauf zum Flugsteig geschoben. Ein Steward überprüfte die Tickets mit perfekter Höflichkeit. „In Ordnung, Hochwürden“, sagte er. „Gehen Sie nur weiter.“
Hochwürden? Ach ja, das stand ja auf dem Ticket. Das hatte er vorher gar nicht wahrgenommen. „Ich bin Bruder Paul, und ich befürchte, hier handelt es sich um ein …“
„Richtig. Die Nichtraucher bitte nach vorn. Familien mit Kindern können zuerst einsteigen.“ Der Mann blickte schon den nächsten Passagier an.
„Daddy, wir halten ja all die Leute auf!“
War ihr Vater wohl schon an Bord? Ohne Ticket schien das unwahrscheinlich. Aber da das Flugzeug auch nur Attrappe war, spielten derartige Kleinigkeiten wohl kaum eine Rolle. Der Mann konnte also an Bord sein. Eine zufällige Namensgleichheit, aber ein Unterschied in Titel und Familienstand. Aber wie konnte das Kind seinen eigenen Vater ver…
Der Tunnel führte direkt ins Flugzeug hinein. Bruder Paul zwängte sich durch den schmalen Mittelgang und suchte auf beiden Seiten auf den Dreierplätzen nach Personen. Niemand trug einen Habit.
„Hier“, sagte Carolyn. „Vor dem Flügel, damit wir auch etwas sehen können.“
„Ich kann hier nicht bleiben“, protestierte Bruder Paul. „Ich bin nur in den Terminal hineingegangen, weil ich …“
„Bitte anschnallen“, sagte die Stewardeß.
„Warten Sie. Ich muß wieder raus …“ Aber die Zugangsröhre war bereits wieder gelöst und die Tür geschlossen. Er saß in der Falle.
Nun, wenn es kein richtiges Flugzeug war, dann flogen sie auch nirgendwohin. Er war in eine höchst erstaunliche Kulisse hineingewandert, das war alles. Er setzte sich neben das Kind und schnallte sich an. Er wollte kein Spielverderber sein.
Das Flugzeug begann sich in Bewegung zu setzen.
Bruder Paul sprang auf – und blieb an seinem Platz. Der Gurt hielt ihn fest. Er griff hastig nach dem Schloß, öffnete es, stand auf, sah sich um – und hielt inne.
Wenn er nun absprang, während die Attrappe rumpelnd über das Flugfeld hüpfte, würde das kleine Mädchen den ‚Flug’ allein erleben müssen. Der halbe Spaß wäre für sie vorbei. Gewiß würde er bei einem richtigen Flug niemals ein Kind im Stich lassen – warum sollte er es also jetzt tun? Die Grausamkeit wäre die gleiche.
Er lehnte sich wieder zurück und schloß den Gurt. Seine andere Verabredung würde einfach etwas länger warten müssen. Ohne Zweifel würden die Beobachter, wenn sie seine Abwesenheit bemerkten, den Rand des Animationsgebietes absuchen und ihn irgendwann hier aufspüren. Da die richtigen Eltern des Kindes nicht da waren, mußte sich Bruder Paul um die Kleine kümmern, bis sie wieder auftauchten. Wie es Jesus Christus über das Geringste der Kinder gesagt hatte …
Das Flugzeug wendete und richtete sich auf die Rollbahn aus, die Bruder Paul zuerst gesehen hatte. Die Maschine beschleunigte. Draußen flogen die Bäume immer schneller vorbei. Das war kein sanftes Vorwärtsrollen mehr; die Passagiere wurden tief in die Sitze gedrückt. Es näherte sich wohl zweihundert Stundenkilometern. Fasziniert blickte Carolyn aus
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