Die volle Wahrheit
Guten-
hügel. »Boddony, nimm dir ein paar Jungs und sieh dort nach dem
Rechten.«
»Ein tapferer Hund«, sagte William.
»›Mutig‹ passt besser«, erwiderte Sacharissa nachdenklich. »Das Wort
hat nur fünf Buchstaben. In einer einzelnen Spalte wirkt es besser.
Nein… ›Tapfer‹ geht durchaus, denn dann hätten wir:
TAPFERER
HUND BEISST
SCHURKEN
Das sähe ganz gut aus, findest du nicht?«
»Ich wünschte, ich könnte in Schlagzeilen denken«, sagte William und
erschauderte.
Im Keller war es kühl und feucht.
Herr Nadel wich in eine Ecke zurück und klopfte auf die brennenden
Stellen seines Anzugs.
»Hier sitzen wir in der …ten Fal e«, stöhnte Herr Tulpe.
»Glaubst du?«, erwiderte Nadel. »Dies ist Stein. Steinerner Boden, steinerne Wände, steinerne Decke! Stein brennt nicht, klar? Wir brauchen hier nur abzuwarten, bis das Feuer dort oben erloschen ist.«
Herr Tulpe lauschte dem Prasseln und Zischen über ihnen. Rotes und
gelbes Licht huschte über den Boden unter der Kellerluke.
»Die …te Sache gefäl t mir nicht«, sagte er.
»Wir haben Schlimmeres erlebt.«
»Die …te Sache gefällt mir nicht!«
»Bleib ruhig. Wir kommen hier raus. Ich bin nicht geboren, um hier
und jetzt zu braten!«
Die Flammen loderten bei der Presse. Einige späte Büchsen flogen
umher und versprühten brennende Tröpfchen.
In ihrem Herzen brannte das Feuer gelb und weiß. Es knisterte nun
an den metallenen Gestellen mit den Drucktypen.
Mehrere Tropfen erschienen an den bleiernen, tintenverschmierten
Regletten. Einige Sekunden schwammen Worte auf dem schmelzenden
Metall, unschuldige Worte wie »die«, »Wahrheit« und »macht dich froh«,
um dann zu verschwinden. Erste dünne Rinnsale kamen unter der rot
glühenden Presse hervor, auch zwischen den Kisten und den vielen
Gestellen mit Drucktypen. Sie trafen sich, verschmolzen miteinander
und setzten den Weg fort. Innerhalb kurzer Zeit verwandelte sich der
Boden in einen glänzenden, fließenden Spiegel, der die orangefarbenen
und gelben Flammen verkehrt herum zeigte.
Auf Ottos Werkbank bemerkten die Salamander die Wärme. Sie mochten
Wärme; ihre Vorfahren hatten sich in Vulkanen entwickelt. Sie erwach-
ten und begannen zu schnurren.
Herr Tulpe stapfte wie ein gefangenes Tier im Kel er umher, griff
nach einem der Käfige und betrachtete die Geschöpfe darin.
»Was sind das für …te Biester?«, fragte er und stellte den Käfig wie-
der auf die Werkbank. Eine Sekunde später bemerkte er das Glas
daneben. »Und warum ist dieses …te Ding mit dem Hinweis ›Vorrsich-
tig behandeln‹ markiert?«
Die Aale waren bereits ziemlich nervös. Sie spürten die Wärme eben-
fal s, und im Gegensatz zu den Salamandern lebten sie in tiefen Höhlen
und unterirdischen, eiskalten Bächen.
Dunkelheit blitzte, als sie protestierten.
Der größte Teil davon sauste geradewegs durch Herrn Tulpes Gehirn,
beziehungsweise durch das, was nach den diversen Drogenexperimen-
ten davon übrig war. Doch Herr Tulpe benutzte es ohnehin nur selten,
weil es zu sehr schmerzte.
Er erinnerte sich kurz an Schnee, Tannenwälder, brennende Gebäude
und die Kirche. Dort hatten sie Zuflucht gesucht. Als er klein gewesen
war. Er entsann sich an große, glänzende Bilder und mehr Farben, als
er jemals zuvor gesehen hatte…
Herr Tulpe blinzelte und ließ das Glas fallen.
Es zerbrach auf dem Boden, und wieder strahlte dunkles Licht von
den Aalen. Erschrocken wanden sie sich aus dem Durcheinander der
Glassplitter, glitten an der Wand entlang und krochen in die Ritzen
zwischen den Steinen.
Herr Tulpe drehte sich, als er ein Geräusch hörte. Sein Partner war
auf die Knie gesunken und presste sich die Hände an den Kopf.
»Ist alles in Ordnung mit dir?«
»Sie sind direkt hinter mir!«, flüsterte Herr Nadel.
»Nein, nur wir beide sind hier unten, alter Freund.«
Herr Tulpe klopfte Herrn Nadel auf die Schulter. Die Adern in seinen
Schläfen schwol en an, als er zu denken versuchte und sich fragte, was
es nun zu unternehmen galt. Die Erinnerungen waren verschwunden.
Der junge Tulpe hatte gelernt, Reminiszenzen zu redigieren. Was Herr
Nadel jetzt brauchte, so glaubte er, waren Erinnerungen an die guten
Zeiten.
»He, weißt du noch, als Gerhardt der Stiefel und seine Burschen uns
in dem …ten Keller in Quirm in die Enge trieben?«, fragte er. »Weißt
du noch, was wir später mit ihnen gemacht haben?«
»Ja«, sagte Herr Nadel und starrte an die
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