Die Wacholderteufel
Punkt.
«Na, dann mal los», stöhnte Wencke, warf sich das Badetuch über, verließ ihr Zimmer und ging, dem Chlorgeruch folgend, die Treppen Richtung Schwimmbad hinab. Hoffentlich waren da nicht zu viele Menschen, mit denen sie am frühen Morgen reden musste. Es war schon genug, einen eiskalten Wasserguss zu ertragen.
Doch noch im trist grauen Treppenhaus gesellte sich ausgerechnet Nina Pelikan dazu, in himmelblauer Strickjacke, ebenfalls mit einem Frottétuch über der Schulter.
«Na, so sieht man sich wieder.»
Was sollte Wencke nur auf solch einen Satz erwidern? Nichts!
«Das war ’ne Nacht», stöhnte Nina, die wohl noch nicht dazu gekommen war, sich die Haare zu kämmen. «Hast du das mitgekriegt?»
«Ich habe geschlafen wie ein Murmeltier», log Wencke.
«Du konntest schlafen? Echt?» Sie waren auf dem nächsten Treppenabsatz angekommen, und da Wencke an der Innenseite lief, war sie schneller um die Kurve und ließ Nina Pelikan ein Stück hinter sich. Doch diese beschleunigte den Schritt. «Diese Typen!», sagte sie.
«Welche Typen?», fragte Wencke etwas ungehalten.
«Vor dem Haus. Diese verrückten Typen mit den Masken. Die haben ein Höllenspektakel veranstaltet, ich konnte kein Auge zutun. Teufel waren das, leibhaftige Teufel.»
«Du hast wahrscheinlich nur schlecht geträumt.»
«Das habe ich ja auch erst gedacht, aber dann habe ich mich in den Oberarm gekniffen, weißt du, das machen doch anscheinend immer alle, wenn sie nicht wissen, ob etwas echt ist oder ein Traum.»
«Und?»
Trotzig schaute die Frau auf ihre in Badeschuhen steckenden Füße, die Stufe für Stufe nach unten nahmen. «Es hat wehgetan. Es war also echt. Und mein Sohn Mattis hat es auch gesehen. Wir werden ja wohl beide nicht dasselbe geträumt haben.»
«Dann werden uns sicher gleich noch ein paar andere Frauen mit übernächtigten Gesichtern erwarten, wenn die wirklich so laut waren. Ich habe ja zum Glück ein Zimmer ganz oben und dann noch raus Richtung Feld.»
«Wir schlafen direkt im ersten Stock über dem Pavillon mit Blick auf den
Silvaticum -Park
, wo wir gestern spazieren waren. Aber da ist nur unser Zimmer. Wahrscheinlich sind wir die Einzigen, die etwas mitbekommen haben.» Wencke merkte, dass so etwas wie Angst in Ninas Stimme lag. «Die wollten bestimmt, dass nur wir wach bleiben.»
«Ach was. Vielleicht waren es Partygäste. Karnevalsverein oder so etwas. Die waren bestimmt in der Kneipe und haben dann noch ein bisschen auf der Straße rumort. Besoffene Männer sehen manchmal teuflisch aus.»
Wencke schaute ihre Begleiterin von der Seite an. Die Augen waren glasig und rot. Diese Frau war ihr suspekt. Gestern hatte sie steif und fest behauptet, schon einmal einen Menschen getötet zu haben. Und nun sprach sie von Teufeln. Vielleicht war sie krank? Ein bisschen zu sehr überspannt? Auf jeden Fall war Nina Pelikan mit Vorsicht zu genießen, zumindest wenn Wencke ihrem Vorsatz treu bleiben wollte, sich einmal nur um sich selbst zu kümmern.
Das Schwimmbad befand sich im Kellergeschoss. Wencke stieß die schwere Glastür auf, dahinter war es warm, feucht und türkis. Eine Gruppe von fünf Frauen stand um den weiß gekleideten Bademeister, der einen breiten Schlauch in der Hand hielt und erfreut in Wenckes Richtung schaute.
«Da kommen auch schon unsere Langschläferinnen. Guten Morgen, die Damen!»
Die anderen Frauen gurrten, und Wencke fühlte sich mit Nina Pelikan verbunden. Sollten die doch über sie lachen – diese eifrigen, strebsamen Frauen, die bereits ihre Hosen hochgekrempelt hatten und sich erwartungsvoll in Reihe stellten.
Der Bademeister streckte die Hand nach den gelben Kurbüchern aus und unterschrieb die Termine.
«Von wegen Schlafen», konterte Nina muffelig. «Kein Auge habe ich bei dem Lärm zugekriegt.»
«Welcher Lärm?», fragte der Bademeister.
«Heute Nacht waren die Teufel bei mir unterm Balkon», antwortete Nina. Es war erstaunlich, dass Nina einen solchen Unsinn auf so normale Weise behaupten konnte. Wencke registrierte die abschätzigen Blicke der anderen.
Der Bademeister stellte den Kaltwasserhahn an, ein dickerStrahl schoss aus dem Schlauch und ergoss sich über die Beine der Brillenschlange, die sich anscheinend schlecht zusammenreißen konnte. Zehnmal hintereinander schmetterte sie das Wort «kalt» in Richtung derer, die dem unausweichlichen Schicksal des Kneipp’schen Gusses noch entgegensahen. Jetzt war Wencke wirklich wach. Einige scharrten nervös mit den nackten
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