Die Wacholderteufel
sie vergessen, dir von einem Termin zu erzählen. Hast du nachgeschaut, ob vielleicht irgendwo ein Zettel von ihr hängt?»
Er kaute auf dem Fleisch herum. «Da hing nichts. Aber das Fenster zum Balkon war weit auf.»
«Und du hast gar nichts mitbekommen?»
Er schüttelte den Kopf. «Ich schlafe hier ganz fest. Weil zu Hause ist das nicht so einfach möglich. Und letzte Nacht waren Mama und ich ja schon wach wegen der Teufel. Da habe ich jetzt eben was nachzuholen gehabt.»
«Hast du Durst? Soll ich dir einen Kakao holen?»
Mattis nickte. Wencke stand auf und holte neben dem Milchgetränk auch gleich noch ein weiches Brötchen, Marmelade und Butter für den armen Kerl. Irgendwie war er mit seinem Problemchen genau im richtigen Moment erschienen. Es tat gut, etwas Sinnvolleres zu tun, als aus dem Fenster zu stieren. Als Wencke zurückkam, saß bereits die allwissende Brillenschlange am Tisch. Wencke hatte inzwischen erfahren, dass sie Bettina Kragen hieß und als Journalistin im Ruhrgebiet tätig war. Sie schaute mit strengem Gesicht auf Mattis herunter, sodass der arme Knirps noch kleiner und dicker aussah, als er es ohnehin schon war.
«Das geht nicht. Beim besten Willen nicht», hörte Wencke die Frau sagen. «Sage deiner Mutter, sie soll sich gefälligst anständig um dich kümmern und nicht bis in die Puppen im Bett liegen bleiben. Oder soll ich es ihr sagen?»
«Nein, schon gut, ich mache es!», sagte Mattis kleinlaut.
«Alles okay», sagte Bettina Kragen und machte ein befriedigtes Gesicht. «Nichts gegen dich, Junge, das musst du mir glauben. Du kannst nichts dafür, du bist noch ein Kind. Aber deine Mutter …»
«Schon klar», traute sich Mattis.
«… deine Mutter ist erwachsen. Und sie hat die Verantwortung für dich. Verstehst du?»
«Ja.» Er ließ den Kopf so weit nach unten hängen, dass er fast mit der Stirn auf dem Teller lag.
Wencke setzte sich zackig auf ihren Platz und warf der Brillenschlange einen giftigen Blick zu. «So, Mattis, dann iss ein bisschen, bevor du diese ansteckende Magen-Darm-Infektion deiner Mutter auch bekommst.»
Mattis schaute erstaunt auf. Bettina Kragen rückte ein Stück ab.
«Wie oft hat sich deine Mutter heute Nacht übergeben müssen?», überspitzte es Wencke noch ein wenig und schaffte es, Mattis unauffällig zuzuzwinkern, damit er das Komplott gegen den ungebetenen Tischgast nicht auffliegen ließ. Endlich grinste er breit.
«Dreimal gekotzt und dann dieser Durchfall», sagte er so trocken wie ein Stück Zwieback. «Und bei mir grummelt es auch schon im Bauch.»
Nun stand die Besserwisserin endlich auf. Sie schaffte ein verklemmtes «Na dann gute Besserung» und verschwand Richtung Toilette, wo neben dem Waschbecken auch ein Behälter mit Desinfektionsmittel stand, welches sie nun sicher gerade über ihre Hände schüttete.
«Danke!», sagte Mattis und beschmierte das Brötchen fingerdick mit Butter und Marmelade.
«Gern geschehen. Was wollte die denn von dir?»
«Sie hat sich aufgeregt wegen dem Schlafanzug. Sie sagte, sie wolle sich nicht einmischen, aber …»
«Aber sie hat es dann doch getan.»
Mattis nickte.
«Mattis, erkläre mir bitte, warum du der Frau nicht einfach gesagt hast, dass deine Mutter verschwunden ist!»
Er schluckte an seinem Frühstück, sprach dann aber dennoch mit halb vollem Mund: «Die kann Mama nicht ausstehen. Das habe ich gleich gemerkt. Viele Menschen können meine Mutter nicht leiden.» Ein großer Schluck Kakao spülte den Rest Brötchen herunter. «Du bist da anders.»
«Woher willst du das wissen?»
Er zuckte die Schultern. «Ich merke das. Viele Menschen schauen immer weg, wenn meine Mama was erzählt. Sie redet ja auch oft den größten Stuss. Du weißt, diese dämliche Geschichte mit dem Rasenmäher und dem Meerschweinchen.»
«Ich fand das wirklich komisch.»
«Ja, okay. Aber die Sache mit den Teufeln unter unserem Balkon fandest du doch auch … seltsam. Oder nicht?»
«Zugegeben, ja.»
«Siehst du!», sagte Mattis. Er hatte die eine Brötchenhälfte bereits verputzt und pulte nun das Weiche aus dem anderen Stück, formte einen festen Ball daraus, den er heftig presste und knetete, bevor er ihn im Mund verschwinden ließ. «Ich weiß, dass sie komisch ist. Das braucht dir nicht peinlich sein.» Mitten in den Ausgrabungsarbeiten am Brötchen machte er eine Pause, sah hoch, und Wencke erkannte, wie ernst es ihm war. «Aber jetzt ist sie weg. Und sie hat mir gesagt: Wenn irgendwas passiert,
Weitere Kostenlose Bücher