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Die Wacholderteufel

Die Wacholderteufel

Titel: Die Wacholderteufel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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habe dir zur Freude dies Bildlein mitgebracht.» Er wendete den vermeintlichen Schatz. «Das wäre doch was für Mama.»
    «Lass mal, Mattis, wir können immer noch zuschlagen, wenn wir wieder zurückkommen. Dann müssen wir den Einkauf nicht die ganze Zeit mit uns rumschleppen.»
    Er schien überzeugt und ließ die Geldbörse wieder unter dem Anorak verschwinden.
    Wencke und Mattis schlenderten den Hinweisschildern folgend durch den Park, dessen Wege alle zum Steinkoloss führten.Die anderen Kurteilnehmer waren ihnen weit voraus. Es war unausgesprochen klar, dass Mattis und Wencke unter sich bleiben wollten.
    Wencke blätterte im Gehen im Heft und übersetzte die trockenen Informationen simultan in Mattis Sprache. «Arminius der Cheruskerfürst, im Volksmund einfach Hermann genannt, war ein echter Siegertyp. Hat gleich drei römische Legionen in einen Hinterhalt gelockt und bei der legendären Varusschlacht besiegt. Man dankt ihm an dieser Stelle, dass er die Germanen vor der römischen Herrschaft bewahrt hat. Wer weiß, vielleicht wäre ohne ihn heute alles anders.»
    «Hier wimmelt es nur vor solchen Typen», sagte Mattis.
    Wencke fand den Einwurf merkwürdig. War es nicht so, dass Jungens in Mattis’ Alter Helden wie Hermann bewunderten?
    «Immer diese Muskelmänner, die irgendwas erobern wollen, in Beschlag nehmen. Genau wie diese Wacholderteufel. Ich kann das nicht ab», sagte er, während er einen kleinen Stein vor sich her kickte. Das Denkmal vor ihnen wurde, je näher sie kamen, immer größer. Der türkisfarbene Soldat mit den strammen Oberschenkeln stand auf einem gotischen Sockel, leicht verwitterte Steinornamente verliehen dem Gebäude einen fast sakralen Charakter.
    «Vom Unterbau bis zur Schwertspitze sind es immerhin mehr als fünfzig Meter», las Wencke vor. «Sie haben siebenunddreißig Jahre daran gebaut. Der Architekt hat die letzten Jahre seines Lebens in einer kleinen Hütte direkt hier oben gewohnt, weil sein ganzes Geld für diesen Bau draufgegangen ist.»
    «Er hätte was Besseres mit seinem Leben anfangen können», gab Mattis altklug zu bedenken.
    «Nun, er war auch Vater von sieben Kindern.»
    «Noch schlimmer», sagte Mattis.
    Sie stiegen die Treppe zum Sockelbau hinauf. Wenn man nun hinaufblickte, verschwand die Statue nach und nach hinter dem klobigen Unterbau.
    «Wollen wir ganz rauf?», fragte Wencke, und als Mattis nun doch endlich etwas interessiert nickte, kaufte sie zwei Eintrittskarten. «Es sind insgesamt über hundert Stufen, aber man kommt sowieso nur bis zum Beginn der Kuppel. Angeblich ist mal jemand dem Hermann durchs Nasenloch geplumpst.»
    «Also los!», sagte Mattis mit einer freudigen Energie, von der nach den ersten zwei Umrundungen der Wendeltreppe nicht mehr viel übrig blieb. Auch für Wencke mit ihrem runden Bauch war es kein Pappenstiel, den Turm zu erklimmen, doch ihre Kondition war vorbildlich im Vergleich zu Mattis’. Er schnaufte und schleppte seine Turnschuhe nur mühsam von Stufe zu Stufe. Es war schade, dass er so dick war, eigentlich passten die Trägheit seines Körpers und die mangelnde Kondition gar nicht zu seinem Wesen.
    Endlich angekommen, hatte Wencke Sorge um den völlig verschwitzten Jungen. Er stützte sich mit beiden Händen am Geländer ab und hatte die ersten Minuten gar keinen Blick für die Aussicht übrig. Wencke lenkte ihn ab, zeigte in der Ferne die Kamine von
Hornitex
, der großen Fabrik im Partnerstädtchen Bad Meinbergs. Besser zu sehen waren die Kirchtürme von Detmold, deren Namen Wencke nicht kannte.
    Als Mattis wieder normal atmen konnte, interessierte er sich trotzdem kein Stückchen mehr für die Umgebung. Ausgerechnet jetzt holte er den Theatertext aus dem Rucksack. «Hier, ich lese dir mal vor, was wir für einen Mist spielen müssen.»
    Er las ohne Betonung und viel zu schnell einen Dialog zwischen einem Teufel und einem jungen Mädchen. «Du kannst nicht kaufen meine Liebe. Und du nicht stoppen des Teufels Triebe.» Er schaute von seinem Blatt auf. «Sag mal ehrlich, Wencke, das ist doch ziemlicher Schrott.»
    «Nun, es ist eine Legende», lenkte Wencke ein. «Alte Geschichten kommen uns heute manchmal merkwürdig vor.»
    «Ich mag es nicht.» Sie liefen am Geländer entlang. «Wie war dein Vater so?», fragte er unvermittelt.
    Wencke schaute ihn an. Es kam ihr beinahe so vor, als habe er ihrem Therapiegespräch am Vormittag gelauscht. Jahrelang hatte niemand sie nach Claus-Peter Tydmers gefragt, und nun wurde sie

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