Die Waechter von Marstrand
Schicksal überließen und ihre Ladung stahlen.
»Verstehst du mich jetzt, Agnes? Es ist gefährlich.«
Agnes nickte.
»Hat dich jemand gesehen?«
»Nein. Bei diesem grässlichen Wetter geht kein Mensch vor die Tür, glaube ich.«
»Glaubst du?«, fragte Oskar. »Ich hoffe bei Gott, dass du recht hast. Kannst du dich an den Schmuggel erinnern, für den Daniel aus Korsvik verurteilt wurde?«
»Ja.«
»Das war das einzige Mal, dass jemand gegen Daniel Jacobsson ausgesagt hat. Und weißt du auch, warum?«
»Ich kann es mir denken«, sagte Agnes.
»Weil sonst nie Zeugen überleben. Entweder du bist auf Daniel Jacobssons Seite, oder du bist gegen ihn – aber dann lebst du nicht mehr lange.«
In dieser Nacht konnte Agnes nicht einschlafen. Bis zur Morgendämmerung lag sie wach und wartete darauf, dass jemand an ihr Tor klopfte. Erst als es hell wurde, döste sie ein.
Am nächsten Morgen hörte sie von dem Schiff, das in der Nacht gestrandet war. In Lervik war ein ertrunkenes Kind gefunden worden, aber von den Eltern gab es keineSpur. Die Frau, die ihr davon berichtete, bezeichnete es als irrsinniges Glück, dass dieses Schiff, dass Roggen und Weizen geladen hatte, ausgerechnet hier bei ihnen gelandet war. Es herrschte große Not, seit der Hering so stark zurückgegangen war, und es gab viele hungrige Mäuler. Das Schiff war in den frühen Morgenstunden an den Klippen zerschellt, und nun versorgte sich die örtliche Bevölkerung mit dem Holz an den Stränden. Agnes musterte die Frau und fragte sich, ob sie ernsthaft glaubte, dass es sich so zugetragen hatte. Das Kind war unten in Brevik oder vielleicht in Lervik begraben worden, da war sie sich nicht ganz sicher. Es wäre ein Leichtes gewesen, die Schiffe auf der Insel zu überprüfen und die Schäden mit denen des verunglückten Schiffs zu vergleichen, doch da letzteres bereits zerstückelt worden war, bestand dazu keine Möglichkeit mehr. Bald würden die Spanten des fremden Schiffs frierende Familien in ihren Hütten wärmen. Brot würde gebacken werden, und auf dem Feuer konnte man Brei für die Kinder kochen, die nie erfahren würden, welche Opfer dafür hatten erbracht werden müssen.
»Das ist doch völliger Wahnsinn«, sagte Oskar. »Wie lange sollen sie denn noch mit Kanonen auf ihren Schiffen herumfahren?«
Agnes schüttelte den Kopf.
»So lange sie Kaperbriefe haben, kann niemand etwas dagegen sagen. Sie können sich immer darauf berufen, dass sie mit ihren Kanonen die Westküste verteidigen. Das weißt du genauso gut wie ich.« Sie beobachtete ihre vierzehnjährige Tochter, die draußen vor dem Fenster vorbeirannte. Ihr langer Zopf hüpfte auf ihrem Rücken auf und ab. Ein zotteliger brauner Hund, der ihr fast nie von der Seite wich, war ihr dicht auf den Fersen. »Die schrecken vor nichts zurück, Oskar.«
Auch er ließ seinen Blick zu Lovisa in den Sonnenschein wandern. Er sah noch genauso gut aus wie damals, als sie ihn kennengelernt hatte, dachte Agnes. Seine Haare jedoch waren inzwischen von grauen Strähnen durchzogen, die silbern in der Sonne glänzten.
»Hast du schon gehört, dass Johannes den Bremsegård zurückgekauft hat? Es müsste sich doch mal jemand fragen, woher das ganze Geld stammt. Aber wenn man sein Geld an die richtige Person verliehen hat, bekommt man natürlich keine Fragen gestellt. Außerdem hat Daniel Jacobsson eine große Summe an die Kirche in Lycke gespendet. Angeblich soll er seinen eigenen Grabhügel erhalten. Daniel Jacobsson, ein Kirchenmann.« Er schnaubte verächtlich.
Agnes fühlte sich wohl hier, sie mochte die Insel und die Menschen, aber die Sache hatte auch eine Kehrseite: immer zu wissen, dass es nicht mit rechten Dingen zuging. Der Unterschied zwischen einem Kaperer und einem Seeräuber war winzig, und das Gewissen der Inselbewohner hatte sich als äußerst belastbar erwiesen.
Alle auf der Insel wussten von den Feuern, die entzündet wurden, von den Schiffen, die hinausfuhren und von den Ladungen, die geborgen wurden. Es war auch bekannt, dass den Ertrinkenden, die sich auf die Schiffe der Seeräuber zu retten versuchten, die Hände abgehackt wurden. Die meisten Leute hatte einen angeheirateten Onkel oder einen Cousin ersten oder zweiten Grades, der sich in irgendeiner Weise an den Überfällen beteiligte. So war eigentlich garantiert, dass alle dichthielten. Blut war eben dicker als das Salzwasser, das die Insel umgab.
17
»Nein«, sagte Astrid. »Es tut mir leid, aber ich finde hier wirklich
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