Die Waffen nieder!
praktischer Untergrund fehlt. Man muß mit den vorhandenen Faktoren rechnen. Dazu gehören die menschlichen Leidenschaften, Rivalitäten, die Verschiedenheit der Interessen, die Unmöglichkeit, sich über alle Fragen zu einigen –«
»Ist auch nicht nötig: wo die Zwistigkeiten beginnen, hat ein Schiedsgericht – nicht aber die Gewalt – zu entscheiden!«
»Einem Tribunal werden sich die souveränen Staaten, werden sich die Völker niemals fügen wollen.«
»Die Völker? Die Potentaten und Diplomaten wollen es nicht. Aber das Volk, man frage es nur, bei ihm ist der Friedenswunsch glühend und wahr, während die Friedensbeteuerungen, die von den Regierungen ausgehen, häufig Lüge, gleißnerische Lüge sind – oder wenigstens von den anderen Regierungen grundsätzlich als solche aufgefaßt werden. Das heißt ja eben 'Diplomatie'. Und immer mehr und mehr werden die Völker nach Frieden rufen. Sollte die allgemeine Wehrpflicht sich verbreiten, so würde in demselben Maße die Kriegsabneigung zunehmen. Eine Klasse von für ihren Beruf begeisterter Soldaten ist noch denkbar: durch ihre Ausnahmestellung, die als eine Ehrenstellung gilt, die ihr für die damit verbundenen Opfer Ersatz geboten; aber wenn die Ausnahme aufhört, hört auch die Auszeichnung auf. Es schwindet die bewundernde Dankbarkeit, welche die Heimgebliebenen den zu ihrem Schutze Hinausgezogenen weihen – weil es ja Heimgebliebene überhaupt keine mehr gibt. Die kriegsliebenden Gefühle, die dem Soldaten immer untergeschoben – und damit auch häufig erweckt werden, die werden dann seltener angefacht; denn wer sind diejenigen, die am heldenmütigsten tun, die am heftigsten von kriegerischen Großtaten und Gefahren schwärmen? Diejenigen, die davor schön sicher sind – die Professoren, die Politiker, die Bierhauskannegießer – der Chor der Greise, wie im ›Faust‹. Nach dem Verlust der Sicherheit wird dieser Chor verstummen. Ferner: wenn nicht nur jene dem Militärdienst sich widmen, die ihn lieben und loben, sondern auch alle jene zwangsweise dazu herangezogen werden, die ihn verabscheuen, so muß dieser Abscheu zur Geltung kommen. Dichter, Denker, Menschenfreunde, sanfte Leute, furchtsame Leute: alle diese werden von ihrem Standpunkte aus das aufgezwungene Handwerk verdammen!«
»Sie werden diese Gesinnung aber wohlweislich verschweigen, um nicht für feige zu gelten – um sich höheren Orts nicht der Ungnade auszusetzen.«
»Schweigen? Nicht immer. So wie ich rede – obwohl ich lange geschwiegen habe – so werden die anderen auch mit der Sprache herausrücken. Wenn die Gesinnung reift, wird sie zum Wort. Ich einzelner bin vierzig Jahre alt geworden, bis meine Überzeugung die Kraft gewann, sich im Ausdruck Luft zu machen. Und so wie ich zwei oder drei Jahrzehnte gebraucht – so werden die Massen vielleicht zwei oder drei Generationen gebrauchen, aber reden werden sie endlich doch.«
* * *
Neujahr 67!
Wir feierten Sylvester ganz allein, mein Friedrich und ich. Als es zwölf Uhr schlug:
»Erinnerst du dich des Trinkspruches,« fragte ich seufzend, »den mein armer Vater voriges Jahr um diese Stunde ausgebracht? Ich wage es gar nicht, dir jetzt Glück zu wünschen – die Zukunft birgt mitunter so unerwartet Fürchterliches in ihrem Schoß und noch kein Mensch hat solches abzuwenden vermocht...«
»So benutzen wir die Jahreswende, Martha, um, statt vorauszudenken, zurückzuschauen in das eben verflossene Jahr. Was hast du, meine arme, tapfere Frau da alles leiden müssen! So viele deiner Lieben begraben ... und jene Schreckenstage auf den böhmischen Schlachtfeldern –«
»Ich bedaure nicht, die dortigen Greuel gesehen zu haben – wenigstens kann ich nunmehr mit der ganzen Kraft meiner Seele an deinen Bestrebungen teilnehmen.«
»Wir müssen deinen – unseren Rudolf dazu erziehen, diese Bestrebungen weiter durchzuführen; in seiner Zeit wird vielleicht ein sichtbares Ziel am Horizont aufsteigen – in unserer schwerlich. – Wie die Leute auf den Straßen lärmen – die bejubeln doch wieder das neue Jahr, trotz der Leiden, welche ihnen das – ebenso eingejubelte – alte gebracht. O diese vergeßlichen Menschen!«
»Schilt sie nicht zu sehr ob ihrer Vergeßlichkeit, Friedrich. Mir fängt auch schon an, das vergangene Leid wie traumhaft aus dem Gedächtnis zu entflattern und was ich gegenwärtig empfinde, ist das Glück der Gegenwart, das Glück, dich zu haben, Einziger! Ich glaube auch – wir wollen zwar nicht von der
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