Die Waffenhändler von Hamor
Wohlstand die Antwort auf die erste Frage, die ihm sein Vater gestellt hat? Ein Stirnrunzeln drückt Lorns Zweifel aus. Cyad könnte auch ohne Wohlstand existieren und ohne die Magi’i, aber es wäre nicht das Cyad, das er kennt.
Seine Gedanken springen zur dritten Frage, und er muss lachen, als er an Dettaur denkt. Denn der hat nicht verstanden, dass die Macht eines Lanzenkämpfers ausschließlich darauf beruht, dass seine Mannen seine Autorität als Offizier anerkennen. Ein Offizier kann leicht hinterrücks durch einen verirrten Schuss aus einer Feuerlanze getötet werden – oder auch durch einen absichtlich fehlgeleiteten Schuss.
Deshalb macht die zweite Frage seines Vaters deutlich, dass die Lanzenkämpferoffiziere ihre Macht nur behalten, solange das Volk zulässt, dass sie die Macht innehaben. Die Barbaren akzeptieren die Macht der Spiegellanzenkämpfer nicht, deshalb ist es ein Kampf zwischen dem Glauben des Volkes von Cyad und dem der Jeranyi und der Cerlynyi.
Doch diese Schlussfolgerung hilft ihm nur wenig bei der Entscheidung, wie er sich bei den Angriffen im Frühling und Sommer verhalten soll.
Er presst die Lippen aufeinander und greift nachdenklich nach dem Silberbüchlein. Er öffnet es und blättert darin. Bei den letzten Zeilen eines Verses hält er inne, sie handeln von der Erinnerung an die Rationalen Sterne.
Einst besaß ich einen Turm, Himmel von hier …
Oh … nimm die neuen Inseln im See und die grünen
Meere,
nimm die Teiche und hohen Bäume,
nimm die Wüstendünen und den sonnendurchfluteten Sand
und lass alles durch deine leeren Hände rieseln.
Das sind nicht die Worte des Begründers eines Weltreiches, das fühlt Lorn ganz genau, oder gar die eines Mannes, der Länder zu erobern sucht. Er blättert weiter und findet einen anderen Abschnitt.
… Ich höre die Kämpferseelen, die ihre Lanzen heben
gegen das, was der Zukunft Vergangenheit uns bringt,
während Zeittürme halten in Schach
die Winter der kommenden Tage,
die wir nicht sehen werden,
die wir nicht auslöschen können …
bis die Türme zu Sand zerfallen
und Cyad nicht länger sein wird.
Das sind die Worte eines Verteidigers. Lorn schüttelt den Kopf. Alles, wofür sein Vater steht, wofür die Spiegellanzenkämpfer stehen – sie alle spielen die Rolle eines Verteidigers. Cyad und auch sein Volk sind es wohl wert, verteidigt zu werden, doch Verteidiger verlieren am Ende stets … wenn sie nur auf ihrem eigenen Gebiet kämpfen.
Seine Augen blicken in den grauen Nachmittag, der auf seltsame Weise mit einemmal doch nicht mehr so grau erscheint, nicht mehr ganz so unwirtlich. Lorn wird klar, dass er einen Weg finden muss, um den Kampf zu den Jeranyi zu tragen.
Doch wie soll ihm das gelingen? Mit fünf Kompanien oder auch sechs, die es im Frühling sein werden?
Muss er die Barbaren besiegen? Was ist mit der Frage, die Rhalyt aufgeworfen hat? Er hat keine Flotte und keine Feuerschiffe zur Verfügung, um die Händler aufzuhalten, die nach Jera fahren.
Dann nickt er. Vielleicht gibt es doch einen Weg. Vielleicht … doch dazu bedarf es noch vieler Sitzungen vor dem Chaos-Glas, und Zeit, und dann … wird man sehen.
LIII
D as fahle Winterlicht, das durch die alten Fensterscheiben des niedrigen Turmes der Magi’i dringt, wird vom Schein der Wandlampen und deren glänzenden Cupridiumreflektoren leicht verstärkt. Der Erste Magier steht nicht auf, sondern bleibt hinter seinem Schreibtisch im kargen Arbeitszimmer des obersten Stockwerks im Turm sitzen, als der Zweite Magier sich verbeugt und zu dem Goldeichenstuhl tritt, der auf der anderen Seite von Chyenfels Schreibtisch steht.
Der Zweite Magier verbeugt sich ein weiteres Mal, bevor er sich schließlich setzt. Hätte er den Ersten Magier direkt ins Gesicht gebückt, hätte er nicht sein eigenes Antlitz in den Augen des älteren Magiers gesehen, sondern nur das Sonnengold eines alternden und mächtigen Magiers.
»Euer Benehmen ist stets ohne Mängel, Kharl«, begrüßt Chyenfel den Magier. »Das ist eine der Eigenschaften, die ich an Euch so schätze.«
»Ihr wolltet mich sprechen? Unter vier Augen?«
»Ja. Der innere Turm der Magi’i könnte jeden Moment ausfallen. Er hält vielleicht noch ein Jahr durch, zwei im Höchstfall, aber es besteht auch die Möglichkeit, dass er noch in dieser Jahreszeit versagt. Ich dachte, Ihr solltet das wissen, denn der Hauptmann-Kommandant wird zweifelsohne an Euch herantreten, wenn ich verkünde, dass wir
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