Die Wahrheit deiner Berührung (German Edition)
zurückkehren. Um es kurz zu machen: Mutter ist verschwunden, und alles deutet darauf hin, dass Gerard Collins dahintersteckt.
Leider kann ich Dir an dieser Stelle nur einen kurzen Bericht liefern, da so vieles auch mir noch nicht klar ist. Für den Moment sollte es reichen, wenn ich Dir sage, dass ich am Abend vor unserer geplanten Rückkehr nach New York von einem Treffen mit den Gentlemen bei Whyllson’s zurückkam und feststellen musste, dass jemand unsere Räumlichkeiten verwüstet hatte und Mutter spurlos verschwunden war. Du kannst Dir sicherlich vorstellen, wie groß meine Angst war. Der Concierge rief sofort die Polizei, die gemeinsam mit Mr Joseph Ridland eintraf, einem Vertreter einer der eher im Verborgenen agierenden Ämter Ihrer Majestät. Ehe ich es mich versah, verfrachtete man mich in sein Haus in der Park Lane, wo ich derzeit gegen meinen Willen festgehalten werde.
Es war auch Mr Ridland, von dem ich erfuhr, dass es meinem Stiefvater gelungen war, dem englischen Gewahrsam zu entkommen. Ridland ist davon überzeugt, dass Mutter sich bei Collins aufhält, wenngleich er sich unsicher zu sein scheint, ob sie aus freien Stücken mitgegangen sein könnte oder nicht. Überzeugt ist er hingegen davon, dass die beiden sich noch immer in England aufhalten, und er hofft nun, dass meine Anwesenheit dazu dienen könnte, sie aus ihrem Versteck zu locken. Welch entzückende Rolle, die ich bekleiden muss!
Meine Hauptsorge gilt bei alledem selbstredend Mutter. Erst heute ist eine höchst seltsame Botschaft im Hotel für mich eingetroffen. Mr Ridland war so nett, sie mir mitzuteilen. Die Zeilen stammen eindeutig von Mutters Hand, aber sie lesen sich höchst eigenartig. Leider schreibt sie nichts darüber, wo oder in wessen Gesellschaft sie sich aufhält, aber sie schickt mir ihre Liebe und lässt mich wissen, dass sie ihr Wohlergehen in die Hände der Vorsehung legt. Sie bittet mich dringend, ich möge es ihrethalben genauso machen.
Stundenlang habe ich mir vergeblich den Kopf über diese Nachricht zermartert. Als ich mir heute Morgen die Zeilen abermals durchlas, wirkten sie auf mich wie die Worte einer Gefangenen im Gewahrsam eines Mannes, von dem sie weiß, wie gefährlich er werden kann. Ich habe den Brief gelesen und dachte bei mir: »Sie hat Angst, dass ich versuchen werde, sie zu finden, und dass er mir dafür wehtun wird.« Als ich die Zeilen am heutigen Abend dann ein weiteres Mal gelesen habe, wirkten sie auf mich wie der Ratschlag eines Moralisten, der mir ob meines Verrates die Leviten liest, mich schilt und mir dringend rät, einen Blick in meine Seele zu werfen und ein besserer Mensch zu werden.
Ist es denn wirklich falsch, wenn ich an die erste Interpretation der Zeilen glaube? Ja, das wäre falsch, nicht wahr? Denn das würde bedeuten, dass Mutter große Angst in seiner Gegenwart empfindet und dass sie Höllenqualen leidet, wenn sie daran denkt, was er ihr oder mir anzutun vermag. Ich wünschte, sie wäre ihm aus freien Stücken gefolgt. Doch sollte das der Fall sein, war alles umsonst: die Hoffnungen und das Leben, das wir uns in den letzten Jahren aufgebaut haben, wie auch die Courage, die sie während unserer grässlichen Zeit in Hongkong bewiesen hat. Ganz zu schweigen von der Bewunderung, die ich ihr im Nachhinein entgegengebracht habe.
Das kann ich einfach nicht akzeptieren. Ich möchte von Grund auf ehrlich zu Dir sprechen. Ich kann es deshalb nicht akzeptieren, weil es falsch wäre.
Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als dass ich Dir die Quelle meiner Überzeugung nennen könnte. Aber Du hast einen Mann und ein Kind, um die Du Dich kümmern musst. Es erscheint mir zu gefährlich, mich einer Frau mitzuteilen, die mit so viel Liebe gesegnet ist. Ich kann Dir jedoch versichern, dass Du Dich meiner Überzeugung anschließend würdest – dass Collins sie mit Gewalt bei sich hält –, wenn Du wüsstest, was ich weiß. Dann würdest Du auch verstehen, warum ich tun werde, was ich für richtig halte.
Hiermit übertrage ich Dir die Generalvollmacht für unsere Firma. Sie gehört jetzt Dir. Leite sie nach Deinem Gutdünken, und alles wird sich gut entwickeln. Ehe die königlichen Schoßhündchen angefangen haben, mich anzukläffen, ist es mir noch gelungen, den Vertrag für die Lavendellieferungen abzuschließen. Das Dokument befindet sich bereits auf dem Weg zu Dir nach New York. Bitte Cavanaugh, die entsprechenden Anzeigen zu konzipieren, die die viel gepriesene Überlegenheit englischen
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