Die Wahrheit des Blutes
Guillard. Warum er diese Frauen tötet und ihre Babys verbrennt.«
Der Untersuchungsrichter runzelte die Stirn, blickte Passan aber erwartungsvoll an.
»Guillard ist eine Frau.«
»Wie bitte?«
»Also, genaugenommen ein Hermaphrodit. Auf seinem Karyotyp befindet sich ein X-Chromosomen-Paar. Vermutlich weisen seine Genitalien Anomalien auf, aber leider kam ich nicht an sein Krankenblatt heran. Scheiß-Datenschutz …«
»Sie haben einen Karyotyp erstellen lassen? Ohne meine Zustimmung?«
Passan rutschte wieder auf seinem Stuhl herum. Er hätte wetten mögen, dass seine Entdeckung wie ein Blitz einschlagen und eventuelle Fragen nach seinem etwas zwielichtigen Vorgehen in den Hintergrund rücken würde. Ein Schuss in den Ofen. Ivo Calvini sprang wütend auf und ging zum Fenster, wo er auf Passans Antwort wartete.
»Auf der dritten Leiche haben wir eine unbekannte DNA gefunden, die ich mit der von Guillard vergleichen wollte«, murmelte Passan schließlich. »Dabei kam zwar nichts heraus, aber das Labor hat bei dieser Gelegenheit den Karyotyp erstellt.«
Calvini schien einen geheimnisvollen Punkt im Regendunst von Saint-Denis zu beobachten. Passan sah, wie sich seine Kiefermuskeln bewegten.
»Wieso sollte diese genetische Besonderheit ein Motiv sein?«
»Weil Guillard ein Psychopath ist«, antwortete Passan, als würde das alles erklären. »Vielleicht geht er davon aus, dass es während der Schwangerschaft seiner Mutter Probleme gegeben hat. Dafür hasst er sie und überträgt seinen Hass auf alle schwangeren Frauen.«
»Und warum verbrennt er die Babys?«
»Das weiß ich nicht. Vielleicht hat er auch etwas gegen sie. Gegen Kinder, die ohne Anomalien ganz klar als Junge oder Mädchen geboren werden – die will er vernichten.«
Calvini wandte sich um.
»Wie kommen Sie auf solchen Psycho-Quatsch?«
»Guillard ist ein Findelkind. Seine Eltern wollten nichts von ihm wissen – wer weiß, warum. Man muss kein Sigmund Freud sein, um den Rest zu erraten. Ich hätte gern in dieser Richtung weiterrecherchiert, aber die zuständigen Sozialbehörden gewähren mir keine Akteneinsicht.«
Calvini kehrte zu seinem Schreibtisch zurück, setzte sich aber nicht, sondern beugte sich zu Passan hinunter.
»Nicht jedes misshandelte Findelkind wird zum Serienmörder.«
Passan schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.
»Aber der Kerl hat nicht alle Tassen im Schrank! Punkt!«
»Warum haben Sie ihn letzte Nacht angegriffen?«
»Das war so nicht geplant. Ich suche seit drei Monaten den Ort, wo er seine Morde begeht. Gestern Abend habe ich eine Info bekommen, die mir wichtig erschien. Dieses Lagerhaus in Stains hat Guillard in seinen Büchern unterschlagen. Als ich die Adresse gesehen habe, fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Die drei ersten Leichen wurden in einem Umkreis von weniger als drei Kilometern gefunden. Mir war klar, dass alles dort passiert sein musste.«
»Aber Sie haben niemanden benachrichtigt.«
»Es musste schnell gehen. Leila Moujawad war immerhin seit zwei Tagen verschwunden.«
Calvini setzte sich. Sein Blick wurde immer skeptischer.
»Wer hat Ihnen den Tipp wegen des Lagerhauses gegeben?«
»Die Steuerfahndung.«
»Mit denen haben Sie kooperiert? Ich wüsste nicht, dass ich etwas unterschrieben hätte.«
Passan wischte die Frage mit einer Handbewegung beiseite.
»In Notfällen muss man den Papierkram manchmal hintenanstellen.«
»Hier geht es nicht um Papierkram, Hauptkommissar, sondern um das Gesetz. Ich werde denjenigen ausfindig machen, der Ihnen ohne Genehmigung geholfen hat. Das Resultat war jedenfalls ein unglaubliches Fehlverhalten Ihrerseits – Sie haben um drei Uhr morgens eine Durchsuchung in Privaträumen vorgenommen.«
»Weil ich einen Mörder auf frischer Tat ertappt hatte!«
»Für mich sieht es eher nach Missbrauch der Amtsgewalt aus. Wir haben Guillard im Krankenhaus vernommen. Er sagt, dass er nichts damit zu tun hat und dass er ebenso wie Sie die brennende Leiche in seinem Lagerhaus vorfand.«
»Das ist doch absurd!«
»Angeblich leidet er unter Schlaflosigkeit und fährt manchmal nachts in eine seiner Werkstätten, um an Motoren herumzuschrauben. Er öffnete das Tor und überraschte den Mörder, der natürlich sofort verschwand.«
»Und wie?«
»Es gibt noch einen Hinterausgang.«
Passan biss die Zähne zusammen. Diesen zweiten Ausgang hatte er nicht bemerkt.
»Gab es Einbruchspuren?«
»Nein, aber das besagt gar nichts. Laut unseren Analysen findet sich
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