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Die Wahrheit des Blutes

Die Wahrheit des Blutes

Titel: Die Wahrheit des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Passan und stellte damit klar, dass er den anderen als Gast betrachtete.
    »Nein, vielen Dank.«
    Passan griff zum Telefon, rief eine der Sekretärinnen im zweiten Stock an und bat sie so freundlich wie möglich, ihm einen Kaffee zu bringen. Und zwar nicht die Katzenpisse aus der Maschine, sondern das köstliche Gebräu, das sie mit ihrer kleinen italienischen Espressokanne herstellte.
    Im Grunde war er nicht unglücklich über diese Pause. Zwar schmerzte ihn Naokos Verrat in tiefster Seele, aber den Grünschnabel zu verschaukeln würde ihm eine gewisse Entspannung verschaffen. Nachdem er die Überzeugung gewonnen hatte, dass Guillard noch längst nicht am Ende war, verspürte er wenig Lust, sofort wieder in den Albtraum einzutauchen.
    »Vielleicht wiederhole ich mich ja«, meinte Duclos, »aber Sie sind keineswegs verpflichtet, heute auf irgendwelche Fragen zu antworten.«
    »Warum haben Sie Ihren Besuch nicht angekündigt?«
    »Ich habe heute Morgen angerufen, aber Sie waren nicht da.«
    »Wenn ein solches Gutachten zu erstellen ist, schickt man in aller Regel einen Brief. Und zwar einige Tage im Voraus.«
    »Der Anwalt Ihrer Ehefrau arbeitet – sagen wir – sehr effizient. Er war es, der den Vorgang beschleunigen wollte.«
    »Um mich unvorbereitet zu treffen?«
    Duclos begnügte sich mit einem Lächeln. Er zog eine ziemlich dicke Akte aus seinem Köfferchen. Passan zuckte zusammen. Dieser Kerl – oder vielleicht auch Naokos Anwalt – schien ihm schon ziemlich lange auf den Fersen zu sein. Er fragte sich, was in einer solchen Akte stehen mochte, denn was sich in seinem Berufsleben abspielte, war eigentlich streng geheim.
    »Weiß meine Frau Bescheid, oder hat ihr Anwalt selbst die Initiative ergriffen?«
    Wieder lächelte der Psychiater. Passan kannte diesen Gesichtsausdruck nur allzu gut. Er bedeutete: »Ich stelle hier die Fragen.« Er selbst benutzte diesen Satz jeden Tag bei Verhören.
    Der Psychiater legte sein Handy mitten auf den Tisch.
    »Sind Sie einverstanden, dass ich unser Gespräch aufzeichne?«
    Passan nickte stumm. Die Akte enthielt mehrere vollgepackte Schnellhefter. Der erste Umschlag trug die Initialen der Polizeipräfektur. Mit anderen Worten: Man hatte Duclos Zugang zum Archiv gewährt. Aber wieso? Und wer war dafür verantwortlich?
    »Ich habe mir Ihren Werdegang angeschaut. Wirklich beeindruckend!«
    »Sparen Sie sich das Süßholzraspeln.«
    »Ich meine es ernst. Sie sind ein Held, wie es heute nur noch wenige gibt.«
    Passan schwieg. Sein Gegenüber tat weiter so, als lese er Lebenslauf, Personalberichte und Presseausschnitte. Die Techniken des Psychiaters ähnelten denen der Polizei. Man versuchte das Misstrauen des Befragten zu zerstreuen, um besser angreifen zu können.
    Und schon ging es los.
    »Um das zu erreichen, mussten Sie einen langen Weg zurücklegen.«
    »Spielen Sie etwa auf meine Jugendsünden an?«
    Duclos rückte seine Brille zurecht und öffnete den zweiten Hefter. Passan erschrak. Es waren Auszüge aus seiner Akte bei der Jugendbehörde. Wie hatte dieser Anfänger es fertiggebracht, an die Dokumente zu kommen? Unter dem Tisch ballte er die Fäuste. Bloß jetzt nicht ausrasten.
    »Heimaufenthalte. Pflegefamilien. Systematische Beobachtung. Als Jugendlicher hatten sie häufig Probleme mit der Justiz.«
    »Inzwischen gab es eine Amnestie.«
    Duclos blickte ihn über seine Brille hinweg an.
    »In meiner Sparte gibt es keine Amnestie.«
    Ein Satz, der zur Einschüchterung gedacht war. Ein Satz für Bullen. Passan überlegte, ob der junge Mann tatsächlich von Naokos Anwalt geschickt worden war. Er hatte ihn weder nach einem Ausweis noch nach einer Vollmacht gefragt. Sollte er es nachträglich tun? Bei dem Gedanken überkam ihn eine unendliche Müdigkeit. Lieber ließ er sich aushorchen.
    Ein Klopfen an der Tür: Sein Kaffee wurde gebracht. Passan stürzte ihn so schnell hinunter, dass er sich die Zunge verbrühte.
    »Nach dieser etwas … bewegten Zeit studierten Sie Jura und gingen zur Polizei«, fuhr der Psychiater fort. »Sie verhielten sich mustergültig.«
    »Geht es hier um ein Gutachten oder eine Psychoanalyse?«
    »Wie erklären Sie sich diesen Sinneswandel?«
    »Sagen wir, ich hatte meinen Weg gefunden.«
    Duclos notierte etwas auf seinen Block. Nicht etwa ein Wort, sondern eher ein Zeichen, ein Gekrakel.
    Der dritte Hefter. Selbst von hinten erkannte Passan, was es war: seine »Schulzeugnisse«. So nannte er selbst die Ansammlung von Bewertungen, ärztlichen

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