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Die Wahrheit eines Augenblicks

Die Wahrheit eines Augenblicks

Titel: Die Wahrheit eines Augenblicks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liane Moriarty
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ihm, wenn er dich noch einmal schlecht behandelt, dann breche ich ihm alle Knochen!«
    »Ja, sag ich ihm.«
    »Im Ernst, Tess. Lass das nicht noch einmal mit dir machen!«
    »Nein.«
    »Und wenn es schiefgeht. Nun, du weißt ja … Meine Bewerbung steht!«
    »Connor, irgendwer wird …«
    »Nein, hör auf …«, unterbrach er sie scharf, klang aber sogleich wieder weicher. »Keine Sorge. Wie gesagt, die Hühner stehen Schlange bei mir.«
    Sie musste lachen.
    »Dann will ich mal Schluss machen«, meinte er. »Wenn dein Typ im Anmarsch ist.«
    Sie konnte seine Enttäuschung jetzt ganz klar hören. Er klang abrupt, fast aggressiv. Ein Teil von ihr wollte, dass er in der Leitung blieb, wollte weiter mit ihm flirten, wollte etwas Liebes hören, etwas Betörendes, und danach könnte sie das Gespräch beenden und diese letzten paar Tage für immer in ihrer Erinnerung ablegen unter der Kategorie, die sie für passend hielt. (Unter welcher Kategorie? Unter »Flüchtiges Abenteuer ohne Verletzte« vielleicht?)
    Aber er hatte alles Recht, abrupt zu einem Ende zu kommen, sie hatte ihn schon genug ausgenutzt.
    »Okay. Gut. Tschüss.«
    »Tschüss, Tess. Pass auf dich auf!«
    »Mr. Whitby!«, rief Polly.
    »Oh, mein Gott! Mum, sag, sie soll still sein!« Isabel senkte den Kopf und hielt sich die Augen zu.
    »Mr. Whitby!«, schrie Polly aus vollem Hals.
    »Er ist zu weit weg. Er kann dich nicht hören«, seufzte Isabel.
    »Liebling, lass ihn in Ruhe! Er telefoniert gerade«, sagte Cecilia.
    »Mr. Whitby! Ich bin’s! Hallo! Hallo!«
    »Er hat heute dienstfrei«, bemerkte Esther. »Er ist nicht verpflichtet, mit dir zu sprechen.«
    »Er spricht aber gern mit mir!« Polly umklammerte ihren Lenker ganz fest, löste sich vom Griff ihres Vaters, radelte davon und eierte gefährlich unsicher über den Fußweg. »Mr. Whitby!«
    »Scheint, als hätten sich ihre Beine spontan erholt!« John-Paul massierte seinen unteren Rücken.
    »Der arme Mann«, seufzte Cecilia. »Genießt den freien Tag und wird von einer Schülerin behelligt.«
    »Ich denke mal, damit muss er rechnen, wenn er in der gleichen Gegend wohnt«, erwiderte John-Paul.
    »Mr. Whitby!« Polly gewann an Boden, ihre Beine stiegen kräftig in die Pedale, und die Räder drehten sich immer schneller.
    »Wenigstens treibt sie so ein bisschen Sport«, sagte John-Paul.
    »Das ist oberpeinlich«, meinte Isabel. Sie hinkte hinterher und trat gegen einen Zaun. »Ich warte hier.«
    Cecilia hielt an und drehte sich zu ihr um. »Komm! Wir sehen zu, dass sie ihn nicht allzu lange belästigt. Und hör auf, gegen den Zaun zu treten!«
    »Wieso findest du das peinlich, Isabel?«, wollte Esther wissen. »Bist du etwa auch in Mr. Whitby verknallt?«
    »Nein, bin ich nicht! Sei nicht fies!« Isabel wurde puterrot, und John-Paul und Cecilia tauschten Blicke.
    »Was ist an diesem Typen so Besonderes?«, fragte John-Paul und stupste Cecilia leicht an. »Bist du auch in ihn verliebt?«
    »Mütter können nicht verliebt sein«, sagte Esther. »Sie sind zu alt.«
    »Danke vielmals«, murmelte Cecilia. »Komm schon, Isabel!« Sie drehte sich wieder zu Polly um, just in dem Moment, da Connor Whitby über die Bordsteinkante auf die Straße trat. Der Drachen schwebte über ihm.
    Polly sauste auf ihrem Rad einen steilen Hang hinunter, direkt auf die Straße zu.
    »Polly!«, rief Cecilia, und John-Paul schrie:
    »Bleib sofort stehen, Polly!«

51
    Rachel sah den Mann mit dem Drachen über den Bordstein treten. Pass auf, hier herrscht Verkehr, mein Freundchen! Das ist kein Fußgängerüberweg .
    Er drehte den Kopf in ihre Richtung.
    Es war Connor Whitby.
    Er sah sie direkt an, aber es war, als wäre Rachels Auto unsichtbar für ihn, als wäre sie gar nicht da, als wäre sie ihm vollkommen unwichtig, als könnte er sie nötigen, ihr Tempo zu drosseln. Er machte einen schnellen, entschlossenen Schritt auf die Straße, in seligem Vertrauen darauf, dass sie abbremsen würde. Ein böiger Wind blies in den Drachen, der langsam kreisend über ihm pendelte.
    Rachel nahm den Fuß vom Gas, hielt ihn kurz über der Bremse
    … und stieg dann wieder aufs Gas – mit Bleifuß!
    Es passierte nicht in Zeitlupe. Es passierte im Bruchteil eines Augenblicks.
    Kein Auto weit und breit. Die Straße war leer. Und dann, wie aus heiterem Himmel, war ein Auto da. Ein kleines, blaues Auto. John-Paul würde später sagen, er habe gesehen, wie ein Auto von hinten auf die beiden zufuhr. Für Cecilia jedoch erschien es wie aus

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