Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

Titel: Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Dicker
Vom Netzwerk:
wissen Sie das?«, fragte ich verblüfft.
    »Weil ich es selbst verbrannt habe.«
    »Wie bitte? Weshalb? Und vor allem: Warum haben Sie nie etwas gesagt?«
    Er zuckte mit den Schultern und erwiderte ganz pragmatisch: »Weil mich nie jemand danach gefragt hat. Seit dreiunddreißig Jahren redet meine Frau von diesem Blatt Papier. Sie zetert und kreischt und schreit, bis sie heiser ist: ›Aber es war da! Im Safe! Dort! Dort!‹ Sie hat nie gesagt: ›Robert, mein Schatz, hast du dieses Papier zufällig gesehen?‹ Sie hat nie danach gefragt, also habe ich nie darüber gesprochen.«
    Ich versuchte, meine Verwunderung zu verbergen, damit er weiterredete. »Und was ist passiert?«
    »Alles hat an einem Sonntagnachmittag begonnen. Meine Frau hat eine alberne Gartenparty zu Queberts Ehren organisiert, aber Quebert ist nicht gekommen. Danach ist sie stinkwütend zu ihm gefahren. Ich erinnere mich noch gut an den Tag: Es war Sonntag, der 13. Juli 1975, der Tag, an dem die kleine Nola versucht hatte, sich das Leben zu nehmen.«

    Sonntag, 13. Juli 1975
    »Robert! Rooooobert!« Tamara stürmte wie eine Furie ins Haus und wedelte mit einem Papier in der Luft herum. Sie lief im Erdgeschoss herum, bis sie ihren Mann gefunden hatte. Er saß im Wohnzimmer und las Zeitung.
    »Robert, verflixt noch mal! Warum antwortest du nicht, wenn ich nach dir rufe? Bist du taub? Sieh mal! Sieh dir an, was ich Schreckliches habe! Lies mal, wie widerlich das ist!«
    Sie reichte ihm das Blatt Papier, das sie soeben bei Harry entwendet hatte, und er las:
    Meine Nola, allerliebste Nola, Nola, meine Liebe! Was hast Du getan? Warum wolltest Du sterben? Etwa meinetwegen? Ich liebe Dich, ich liebe Dich über alles. Verlass mich nicht. Wenn Du stirbst, sterbe ich auch. Du bist das Einzige in meinem Leben, Nola, was zählt. Vier Buchstaben: N-O-L-A .
    »Woher hast du das?«, wollte Robert wissen.
    »Von Harry Quebert, diesem Schweinehund! Ha!«
    »Du hast es ihm gestohlen?«
    »Ich habe nichts gestohlen: Ich habe es mir genommen! Ich wusste es! Er ist ein widerlicher Perversling, der über eine Fünfzehnjährige phantasiert. Mir wird übel, wenn ich nur daran denke! Ich könnte kotzen! Hörst du, Bobbo? Kotzen könnte ich! Harry Quebert ist in ein kleines Mädchen verliebt! Das ist illegal! Er ist ein Schwein! Ja, ein Schwein! Jetzt weiß ich auch, warum er ständig im Clark’s herumhockt! Um sie anzugaffen! Er kommt in mein Restaurant, um einer kleinen Göre auf den Hintern zu schielen!«
    Robert las den Text mehrmals. Kein Zweifel: Was Harry da geschrieben hatte, war eine Liebeserklärung. Eine Liebeserklärung an eine Fünfzehnjährige. »Was hast du damit vor?«, fragte er seine Frau.
    »Keine Ahnung.«
    »Wirst du die Polizei verständigen?«
    »Die Polizei? Nein, Bobbo. Noch nicht. Es soll sich nicht herumsprechen, dass der Verbrecher dieses junge Ding unserer wunderbaren Jenny vorzieht. Wo steckt sie eigentlich? In ihrem Zimmer?«
    »Stell dir vor, kaum warst du weg, ist dieser junge Polizist, dieser Travis Dawn, gekommen und hat sie gefragt, ob sie mit ihm auf den Sommerball gehen will. Sie sind zum Abendessen nach Montburry gefahren. Jenny hat also schon einen anderen Tanzpartner für den Ball gefunden! Ist das nicht schön?«
    » Nicht schön, nicht schön ! Wer nicht schön ist, bist du, mein armer Bobbo! Und jetzt verschwinde! Ich muss dieses Papier irgendwo verstecken, und niemand darf mitkriegen, wo …«
    Folgsam trollte Bobbo sich auf die Veranda, um die Zeitung zu Ende zu lesen. Aber er konnte sich nicht richtig konzentrieren, weil ihm nicht aus dem Kopf ging, was seine Frau gerade herausgefunden hatte. Harry, der große Schriftsteller, schrieb also Liebesbotschaften an ein Mädchen, das halb so alt war wie er selbst. Die nette kleine Nola. Das war sehr verstörend. Sollte er Nola warnen? Sollte er ihr sagen, dass Harry voll dunkler Triebe steckte und ihr womöglich sogar gefährlich werden konnte? Musste er nicht die Polizei benachrichtigen, damit Harry von einem Arzt untersucht und behandelt wurde?
    Eine Woche später fand der Sommerball statt. Robert und Tamara Quinn standen gerade in einer Ecke des Saals und nippten an einem alkoholfreien Cocktail, als sie Harry Quebert unter den Gästen erblickten. »Sieh mal, Bobbo!«, zischte Tamara. »Da ist dieser Perverse!« Sie ließen ihn nicht aus den Augen, während Tamara ihre Fluchtirade fortsetzte, die allerdings nur Robert hören konnte.
    »Was wirst du mit diesem Blatt Papier tun?«,

Weitere Kostenlose Bücher