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Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karolina Halbach
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erkannte dann aber in ihm den Stallmeister.
    »Mein Gespann ist verschwunden«, erklärte der Kutscher zwischen zwei schweren Atemzügen.
    »Der Kerl«, mischte sich der Stallbursche ein und deutete auf den Kutscher, »behauptet, wir hätten die Maultiere geklaut, aber das stimmt nicht. Der hat die Gäule nicht richtig festgebunden, und jetzt schiebt er uns die Schuld in die Schuhe.«
    Sofort holte der Kutscher wieder mit der Faust aus. »Sag noch einmal, dass ich lüge, armseliger Wicht!«
    »He, he, ruhig, Kutscher!«, fuhr der Stallmeister dazwischen. »Das ist eine schwere Anschuldigung, die du da vorbringst. Hast du denn irgendwelche Beweise?«
    Der Kutscher senkte verwirrt die Faust.
    »Beweise? Ist es nicht genug Beweis, dass die Tiere fort sind und kein Schweifhaar mehr zu sehen?«
    In diesem Augenblick teilte sich die Menge. Einige der Knechte und Mägde verdrückten sich sogar rasch. Der Truchsess war herangekommen, neben ihm Wirtho. Beide hatten leichte Jagdröcke angelegt, die zwar in sauberem Zustand, aber doch deutlich abgenutzt aussahen. An Wirthos Gürtel baumelte zudem der lederne Handschuh für einen Jagdfalken. Die Gelegenheit für Arigund, sich weiter nach vorne zu schieben, war günstig. Sofort wurde es mucksmäuschenstill. Die Umherstehenden grüßten den Adelsherren ehrerbietig. Dann fasste der Stallmeister kurz zusammen, was er wusste.
    »Wessen Aufgabe war es, die Maultiere zu betreuen?«, hakte der Reimar von Brennberg nach.
    »Meine«, gestand der Stallbursche, »aber der da hat sie angebunden.« Er deutete auf den Kutscher.
    »Und das tat ich mit der gebotenen Sorgfalt.«
    »Wurden der Hof und die Umgebung abgesucht?«, wollte der Truchsess wissen.
    »Ja, Herr«, bestätigte der Kutscher.
    »Fehlt sonst noch etwas aus deiner Habe?«
    »Wagen und Waren sind unberührt, aber die Tiere sind wie vom Erdboden verschluckt.«
    »Vielleicht hat der Gehörnte sie geholt?«, mutmaßte der Stallknecht, wobei er jedoch zu Wirtho blickte, der gleichmütig neben seinem Vater stand.
    »Ach was«, winkte sein Herr ab. »Losgerissen haben sie sich und zertreten jetzt unser wertvolles Gras. Gebt dem Manne ein anderes Gespann, damit er weiterreisen kann.«
    »Aber es sind teure Tiere«, versuchte der Kutscher einzuwenden.
    »Wenn er nicht zufrieden ist, dann mag er seinen Karren selber ziehen!«, fertigte ihn Reimar von Brennberg ab und wandte sich zum Gehen.
    Arigund kam es vor, als hätte sie zwischen Wirtho und dem Stallknecht ein einvernehmliches Grinsen bemerkt. Das Mädchen drängte sich nach vorne, um ihren Kutscher zu unterstützen, doch eine Hand legte sich auf seine Schulter. Ärgerlich sah es sich um.
    »Das ist Sache der Männer, Arigund«, raunte ihr Pater Anselm zu. »Aber hab keine Angst um dein Gespann. Ich gehe jede Wette ein, dass es sich heute Abend wieder im Stall befindet, und dann kannst du Anspruch darauf erheben.«
    »Wirtho steckt dahinter, nicht wahr?«
    Der Pater hob seinen Finger an den Mund und hüllte sich in Schweigen.

*
    Kunigund von Brennberg war eine Frau, deren Blüte bereits welkte. Obwohl sie – wie es sich für eine Dame von Stand gebührte – auf ihr Äußeres achtete, war von ihrem einstigen Glanz wenig geblieben. Das ursprünglich honigfarbene Haar wurde längst von Grautönen dominiert, ihre vollen, weichen Lippen umsäumte ein Faltenkranz, und ihren Konturen sah man an, dass sie sechs Kindern das Leben geschenkt hatte. Nur dreien hatte der Herrgott vergönnt, dem Kindesalter zu entwachsen. Liliana, die Älteste, hatte die Burg vor zwei Jahren verlassen. Sie hatte Friedrich Auer geheiratet, einen streitbaren jungen Mann mit großem Vermögen und politischem Weitblick. Wirtho, der Stammhalter, hatte im vergangenen Jahr seine Schwertleite gefeiert, und Reimar, der Jüngste, würde dies wohl im nächsten Jahr tun.
    Alles in allem hätte Frau von Brennberg zufrieden auf ihr Lebenswerk blicken können, hatte sie doch als Minneherrin viel Glanz auf Burg Brennberg gebracht. Aber die ruhmreichen Tage wurden nun überschattet von drängender Geldnot. Die reiche Mitgift für Liliana und das Turnier zu Wirthos Schwertleite hatte die Schatz- und Speisekammern der Brennberger arg strapaziert. Zudem war der Winter ungewöhnlich hart gewesen. Seit April wärmten wieder Sonnenstrahlen die Burgmauern, aber der beständige Regen hatte bislang die Aussaat auf den Feldern verhindert. Erst seit ein paar Tagen trocknete eine nun ungewöhnlich heiße Sonne die Erde, und die Ankunft der

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