Die Washington-Akte
würde sie zum Nordufer hinüberfahren, wo Hales Anwesen lag. Vorläufig erschien es am sichersten, die Polizei vor Ort zu umgehen, da man unmöglich sagen konnte, wie weit die Macht des Commonwealth reichte.
Es ging auf Mitternacht zu. Früh am nächsten Morgen würden lokale Nachrichtensender über die Schießerei bei Kaisers Haus berichten. Vorausgesetzt, dass niemand da gewesen war, der Hale das Desaster unmittelbar zugetragen hatte, sollte sie ein paar Stunden für ihre Operation haben.
Das Commonwealth-Gelände wurde gewiss elektronisch überwacht, da Kameras eine viel bessere Verteidigungslinie darstellten als Wächter. Leider besaß Davis nur wenige Informationen darüber, was sie auf dem Anwesen erwarten würde. Man hatte ihr von einem heftigen Unwetter berichtet, das die gesamte Küstenregion heimsuchte. Das sollte ihr Schutz bieten.
Die Secret-Service-Agenten, die Paw Island beobachteten, hatten berichtet, dass dort in den letzten Stunden alles still gewesen war.
Und Cotton?
Sie konnte den Gedanken nicht abschütteln, dass er in Schwierigkeiten steckte.
Wyatt blickte auf Malone hinunter, der sich langsam aufrappelte. Zum Glück war Wyatt als Erster aufgewacht und hatte eine Taschenlampe gefunden, die Malone offensichtlich bei sich getragen und die den Sturz überstanden hatte.
»Bist du jetzt glücklich?«, fragte Malone.
Wyatt erwiderte nichts.
»Oh, das hatte ich ganz vergessen. Du redest nicht viel. Wie wurdest du damals noch genannt? Die Sphinx? Du hast diesen Spitznamen gehasst.«
»Ich hasse ihn immer noch.«
Malone stand in knöcheltiefem Wasser, bewegte vorsichtig die Schulter, die einen Stoß abbekommen hatte, und reckte den Rücken gerade. Wyatt hatte sich die Umgebung bereits angesehen. Der unterirdische Raum war etwa zehn Meter hoch und halb so breit. Die Wände waren aus Kalkstein, auf dem Felsboden stand Wasser, und im Schein seines Lichtstrahls glänzten bunte Kiesel.
»Es kommt aus der Bucht«, sagte Wyatt, auf das Wasser deutend.
»Woher zum Teufel denn sonst?«
Aber Wyatt sah, dass der andere die Bedeutung seiner Bemerkung verstand. Offensichtlich hatte Malone ebenfalls etwas über die Geschichte dieses Ortes nachgelesen. Vierundsiebzig britische Soldaten waren im Fort Dominion in einem unterirdischen Raum ums Leben gekommen, der den Gezeiten ausgesetzt gewesen war.
»Ganz recht«, sagte Wyatt. »Wir sitzen hier ebenfalls in der Falle.«
69
Bath, North Carolina
Hale sah zu, wie zwei Crewmitglieder Shirley von einem Elektrowagen luden und durch den Regen ins Gefängnis schleiften. Er hatte dort angerufen und einen weiteren Insassen angekündigt. Sie war noch immer benommen von seinem Schlag ins Gesicht; auf der linken Wange hatte sie eine hässliche Prellung.
Sie wehrte sich gegen ihre beiden Wärter, als sie sie zum Hineingehen zwangen.
Er trat ein und schlug die Tür hinter sich zu.
Er hatte angeordnet, Stephanie Nelle zu wecken und nach unten in eine neue Zelle bringen zu lassen. Er hatte vor, diese zwei Frauen zusammen unterzubringen, da man nie wusste, was sie miteinander bereden mochten. Der elektronischen Abhörvorrichtung würde kein Wort entgehen.
Nelle stand in der Zelle und beobachtete sie beim Näherkommen. Die Tür wurde aufgesperrt und Kaiser hineingeschoben.
»Ihre neue Zellengenossin«, erklärte Hale Nelle.
Diese untersuchte die Prellung in Kaisers Gesicht.
»Ist das Ihr Werk?«, fragte Nelle.
»Sie war äußerst unliebenswürdig. Sie hatte eine Pistole auf mich gerichtet.«
»Ich hätte dich erschießen sollen«, stieß Kaiser hervor.
»Du hast deine Chance gehabt«, erwiderte er. »Und du hast dich nach Stephanie Nelle erkundigt. Hier ist sie.« Er wandte sich an Nelle. »Kennen Sie einen Mann namens Cotton Malone?«
»Warum?«
»Aus dem einzigen Grund, dass er irgendwo aufgetaucht ist, wo er nicht erwartet wurde.«
»Wenn Malone da ist, haben Sie ein Problem«, sagte Nelle.
Hale zuckte mit den Schultern. »Das bezweifle ich.«
»Meinen Sie, Sie könnten dieser Frau einen Eisbeutel beschaffen?«, fragte Nelle. »Sie hat ordentlich was abbekommen.«
Das war keine unvernünftige Bitte, und so ordnete er es an. »Schließlich sollte sie so gut wie möglich aussehen.«
»Was meinen Sie damit?«, fragte Nelle.
»Sobald das Unwetter vorüber ist, gehen Sie beide auf eine Segeltour. Ihre letzte Reise, hinaus aufs Meer. Wo Sie bleiben werden.«
Cassiopeia steuerte über die schwarzen Wogen des Pamlico River. Sie war von Westen her gekommen
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