Die Weiterbildungsluege
Aufgabe sein Team
nicht ins Boot, sondern bügelte deren Vorbehalte einfach über. Die Folge war Motivationsverlust.
Mit diesen Eindrücken ging Karsten Blum wieder in seinen Arbeitsalltag als Leiter Materialmanagement. Er war dankbar, dass
sein Chef ihm dieses dreitägige Training ermöglicht hatte. Sein erstes Führungstraining. Zugegeben – die Einladung dazu hatte
ihn sehr überraschend per E-Mail ereilt. Anfangs wollte er gar nicht hingehen. Sein Chef hatte sich mit ihm nicht über das
anstehende Training und die damit verbundenen Entwicklungsziele unterhalten. Zu einem Nachgespräch kam es auch nicht. Bald
verblassten die guten Vorsätze und alles blieb beim Alten. Das Tagesgeschäft hatte ihn eingeholt. Und damit erging es Karsten
Blum wie den meisten Weiterbildungsteilnehmern. Deren Chefs stehen so sehr unter operativem Druck, dass Entwicklungsgespräche
hinten herunterfallen. Dass Führungskräfte unter extremen Zeitmangel leiden, belegt auch eine Studie des Verlages für Deutsche
Wirtschaft AG aus dem Jahr 2007. 42 Mit 97 Prozent gaben die 1 787 befragten Führungskräfte verschiedenster Branchen nahezu einmütig zu, dass sie nicht genügend
Zeit für ihre Mitarbeiter haben. Als Hauptfolgen nannten sie: kein Feedback (93 Prozent) und Konflikten wird ausgewichen (78
Prozent). Doch die Folgen sind noch viel weitreichender, wenn es um das Thema Fortbildung geht. Dadurch, dass sich Chefs aus
Zeitnot zu wenig mit ihren Mitarbeitern befassen, kennen sie deren Qualifizierungsbedarf zu wenig. Als Folge werden die falschen
Trainings gebucht und Erwartungen enttäuscht. Und selbst wenn die Seminare ganz gut passen, fehlt es an der notwendigen Konsequenz,
die Umsetzung des Gelernten auch zu kontrollieren beziehungsweise einzufordern. Vorgesetzte hoffen auf das Prinzip Selbstverantwortung
beim Mitarbeiter – und wie Sie aus dem vergangenen Kapitel wissen, hoffen sie da vergebens. Und weil Vorgesetzte ihrem Entwicklungsauftrag
nicht nachkommen, kann man sich die Gelder für Weiterbildungsmaßnahmen auch sparen.
|95| Chefs im Hamsterrad:
Entwicklungsgespräche sind Zeitdiebe
Vorgesetzte sind eine bedauernswerte Spezies. So kommt es mir jedenfalls immer wieder vor, wenn ich mit Führungskräften verschiedenster
Hierarchieebenen spreche. Sie stehen unter starkem operativem Druck und müssen zunehmende Komplexität managen. Eine Klage
beherrscht die Szenerie: »Ich bin nicht Herr meiner Zeit.« Als naiver Mensch mag man da fragen: Wenn nicht Führungskräfte
ihre Zeit bestimmen können, wer dann? Sind sie nicht die Menschen, die entscheiden und die Macht im Unternehmen haben? Doch
das ist offensichtlich zu kurz gedacht. Führungskräfte sind wild verstrickt in einem Netzwerk von Prozessen und anderen Menschen:
Mitarbeiter, übergeordnete Manager und natürlich der Kunde. Und jeder hat Anforderungen, Erwartungen und Vorstellungen. Alles
ist wichtig. Besonders natürlich der Kunde. Ein Manager erzählte mir jüngst, er habe 123 verschiedene Projekte auf seinem
Schreibtisch liegen. Alle oberste Priorität. Er sei kurz vor dem »Absaufen«. Und da alles sehr wichtig ist, ist kein Platz
mehr für Mitarbeiterführung. Wie bitte? Das Thema Mitarbeiterführung hat ebenfalls oberste Priorität! Keine Führungskraft
würde dem widersprechen. Wenn nur nicht die Zeit so knapp wäre. Die Chefs, aber auch deren Mitarbeiter stehen unter dem Zwang,
in immer kürzerer Zeit immer mehr leisten zu müssen. Egal, in welche Unternehmen man hineinhört – die Aussagen wiederholen
sich. »Ich soll bei immer mehr Arbeitsvolumen immer bessere Qualität bringen. Dabei verkürzen sich die Zeitzyklen. Hinzu kommen
termingetriebene Kundenanforderungen. Und das alles soll ich mit immer weniger Personen leisten.« So formulierten es kürzlich
Führungskräfte aus einem Zulieferunternehmen der Automobilindustrie, die ich in diversen Workshops traf. Gleichzeitig ist
der Arbeitsalltag geprägt von einer Informationsflut. Gesetzliche Vorgaben, Regeln, Prozessbeschreibungen, interne Informationen
und vieles mehr. »Man kann gar nicht alles lesen, weitervermitteln |96| oder gar umsetzen.« Gebetsmühlenartig ertönen immer wieder die gleichen Klagen. Die Chefs kommen nicht aus dem Hamsterrad
heraus. Das Tagesgeschäft verlangt vollen Einsatz. Da muss entschieden, geregelt und koordiniert werden. Dringliche Aufgaben
oder Spontaneinsätze bestimmen das Geschehen. Und so verwundert es nicht,
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