Die Weltenwanderer
mir die Wahrheit! Dauert nicht mehr lang und der Morgen graut. Da wäre ich lieber wieder ...«
Van Rhyn unterbrach ihn: »Du kannst hier mit meinem Segen jedes Zimmer durchsuchen und jeden Stein umdrehen, du wirst sie nicht finden. Sie ist nicht hier. Als hochintelligenter Spurenleser wirst du bestimmt schnell herausfinden, wohin ihr weiterer Weg führte.«
Leander rieb sich die Nase. »Mach keinen Fehler! Eine Marú zu beherbergen, kann sich selbst ein Ringlord nicht leisten. Du weißt, dass morgen ein Bote hier eintrifft?«
»Was? Woher weißt du das?«, fragte Aeneas verblüfft.
Der zuckte die Schultern und nahm einen Schluck, bevor er antwortete: »Hab mich in eure Zentralverwaltung gehackt. Nach einer teuren und illegalen, allerdings sehr nützlichen Zusatzausbildung knacke ich jeden Sicherheitscode. Wollte wissen, wo euer Hauptquartier ist, und ob es hier einen Ringlord gibt. Als ich deinen Namen las, musste ich glatt ein bisschen stöbern. Dass der Rhanlord dich am liebsten für alle Zeit im Kerkerturm wüsste, ist mir bekannt. Wenn ich du wäre, wäre ich daher vorsichtig und würde einem seiner Boten keinen Grund für Untersuchungen liefern.«
Er konnte keinerlei Gemütsregung bei seinem Gastgeber feststellen, legte den Kopf leicht schräg und musterte Aeneas noch intensiver. »Das lässt dich kalt? Du änderst dich nie. Ist dein größter Fehler jetzt deine Ignoranz oder deine Arroganz? Keine Ahnung! Ich überlege gerade, ob es deshalb für mich nicht zeitsparender wäre, dich weichzuklopfen, damit du mir sagst, was du weißt.«
»Und wenn es nicht klappt?«, fragte van Rhyn grinsend. »Wenn ich stattdessen dich »weichklopfe«? Auf dich ist auf Rhanmarú ein schönes Kopfgeld ausgesetzt. Mein Arbeitgeber, der Rhanlord, dürfte vielleicht einmal zufrieden mit mir sein.«
Leander kniff die Augen zusammen und schien zu überlegen. Dann nahm er die Whiskyflasche und ging auf den Ringlord zu. »Auf mich ist fast überall ein Kopfgeld ausgesetzt, sogar auf Xerxas. Ich nehme die Flasche mit. Du weißt den edlen Tropfen garantiert nicht zu schätzen.«
Er stellte sich so dicht vor ihn, dass ihre Nasenspitzen sich fast berührten. »Solltest du mich belogen haben, pass in Zukunft auf deinen Rücken auf!« Ohne ein weiteres Wort verließ er das Büro.
Aeneas starrte lange Zeit auf die Tür zum Schlafzimmer, zog die Unterlippe ein und nagte gedankenverloren darauf herum. Diese war eine der seltenen Angelegenheiten, bei der Erkenntnisse nur zu neuen Fragen führten, ohne die alten zu beantworten.
Wenn stimmte, was er gerade gehört hatte, war Erik nicht Leonas Bruder. Sonst hätte der Marú von ihm gewusst. Denn gründlich war Leander. Nur, wer war der Junge dann, und aus welchen Gründen hatte sie sich so lange um ihn gekümmert? Nur zur Tarnung? War Erik jetzt ein Rhan oder ein Marú, der unter Rhan nur vor eigenen Landsleuten versteckt werden sollte? Alles war ungewiss. In Anbetracht der Tatsache, dass morgen ein Bote auftauchte, eine mehr als unangenehme Ungewissheit.
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4
Erik erwachte von einem Klopfen. Verstört fuhr er hoch und sah hektisch um sich herum.
Erneut klopfte es an der Tür. Frau Meises Stimme erklang. »Erik Haiden, bist du da?«
»Ja!« Er warf einen Blick auf die Armbanduhr. Es war schon nach elf. »Hab verschlafen.«
»Dann eile dich jetzt. Der Ehrwürdige erwartet dich.«
»Komme sofort.« Er schwang die Beine aus dem Bett, erinnerte sich an gestern und spürte ein angenehmes Kribbeln in der Magengegend. Er fühlte sich wie Heiligabend vor der Bescherung. So wie heute hatte er sich lang nicht mehr auf einen Tag gefreut.
Er wühlte in der Reisetasche nach seinem Lieblingshemd.
Wenig später lief er die geschwungene Treppe hinunter.
In der Halle kam ihm ein großer, schlanker Mann um die fünfzig entgegen. Zu kurz geschorenen Haaren trug er einen dunkelblauen Anzug, dessen Jacke - mit hohem Stehkragen und goldenen Schulterpatten - fast bis zu den Knien reichte.
Der seltsam gekleidete Fremde sah sich nach allen Seiten um und sprach ihn dann an: »Hallo, junger Mann! Ich bin auf der Suche nach dem Ringlord. Kannst du mir sagen, wo ich ihn finden könnte?« Ein Lächeln begleitete die Frage.
Erik schüttelte den Kopf. »Ringlord? Ich weiß gar nicht, was das ist. Tut mir leid, aber ich bin erst seit gestern hier und kenn mich noch nicht aus.«
Graue Augen musterten ihn intensiv. »Erst seit gestern? Da kann man sich wirklich noch nicht zurechtfinden. Darf ich fragen, woher
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