Die Weltenwanderer
hatte, begann zu schwingen.
Er zog sich unter Stöhnen an der Brüstung hoch und schwang ein Bein darüber. Rittlings saß er auf der Mauer und sah voll froher Erwartung hinunter. Er glaubte, einen Mann zu sehen, der durch Regen und Sturm auf den Turm zueilte. Er meinte sogar, seinen Namen zu hören. Unendliche Freude durchflutete ihn: Sein Vater kam.
Eine Sturmbö riss ihn fast in die Tiefe. Er klammerte sich an den kalten Steinen fest. Noch war es nicht so weit. Das Zeichen fehlte.
Aeneas hastete auf den Turm zu und brüllte Eriks Namen. Fieberhaft versuchte er, telepathisch mit ihm Verbindung aufzunehmen, konnte ihn jedoch nicht erreichen. Eriks Gedanken waren versperrt.
»Nicht springen!«, schrie er, so laut er konnte. Er musste trotz der magischen Barriere irgendwie zu dem Jungen vordringen können. Diesmal schallte seine Stimme laut wie Donnerhall durch die Nacht, übertönte sogar das tobende Unwetter. »Nicht springen, Erik! Steig von der Brüstung und bleib auf dem Turm. Ich komm dich holen.«
Erik fuhr zusammen und schüttelte sich verwirrt. Die Stimme klang vertraut. Erneut hörte er den Befehl, von der Mauer zu steigen. Unschlüssig wand er sich. Er konnte sich nicht entscheiden. Sein Gehirn war wie verstopft. Sollte er auf den Turm zurück? Die Stimme hatte sehr bestimmt geklungen. Er sollte ihr gehorchen. Ja, er würde gehorchen. Es konnte nur sein Vater sein, der zu ihm sprach.
Hinter ihm erklang das leise Läuten der Glocke.
Er lächelte.
»Ich komme, Vater«, brachte er heiser heraus, schwang das zweite Bein über die Brüstung und ließ sich in die Tiefe fallen.
»Neiiiiin!« hallte ein verzweifelter Ruf durch die Dunkelheit.
Erik erwachte abrupt und schrie in heller Panik. Rasend schnell kam die Erde auf ihn zu, dann wurde sein Fall mitten in der Luft gebremst.
Langsam sank er in die Arme des Ringlords. Er sah mit Todesangst in den Augen seinen Retter an, hauchte erleichtert: »Aeneas«, und verlor die Besinnung.
»Meine Güte«, keuchte der atemlos und betrachtete mit aufwallendem Zorn den durchnässten, eiskalten und totenbleichen Jungen.
Seine Augen waren dunkel vor Wut, als er mit schnellen Schritten auf das Turmtor zuging, das sich unmittelbar vor ihm öffnete. Er hörte einen Fluch und schnelle Schritte, die sich in Richtung Turmspitze entfernten.
»Wenn du nicht fliegen kannst, solltest du besser wieder umkehren! Es ist vorbei. Für dich gibt es kein Entkommen mehr«, brüllte er.
Er legte sanft den schlaffen Körper ab, wickelte ihn notdürftig in seine Jacke und sprintete die Treppen, zwei, drei Stufen auf einmal nehmend, hoch. Über sich hörte er das knackende Bersten einer Stufe, dann einen schrillen Schrei, kurz darauf einen dumpfen Aufprall. Er machte frustriert kehrt, rannte wieder nach unten und sah kaum zwei Meter von Erik entfernt einen gekrümmten Körper am Boden liegen.
»Rufus?«, stieß er ungläubig hervor.
»Vergebt mir, mein Lord! Ich musste es tun ... Vergebt mir«, hauchte der Bibliothekar und schloss die Augen.
Erik erwachte, gähnte herzhaft, räkelte sich und sah Aeneas an seinem Bett sitzen. Langsam kam die Erinnerung zurück.
»Es war kein Traum, nicht wahr?«, fragte er schaudernd.
»Nein, leider nicht!«
Er schüttelte sich unwillkürlich. »Es war ... es war ... ich war ... Warum geschieht das alles? Wer will mich nur töten ... und weshalb?«
Der Ringlord nickte teilnahmsvoll. »Mit Sicherheit war es schrecklich für dich, doch jetzt ist es vorbei. Versuche, es möglichst schnell zu vergessen! Um auf deine Fragen zurückzukommen: Rufus wollte dich töten. Er ist auf der Turmtreppe eingebrochen und tief gestürzt. Er lebt, hat aber schwere Verletzungen davongetragen und liegt im Koma. Die Heiler auf Rhanmarú rechnen eher nicht damit, dass er noch einmal daraus erwacht. Warum er dich töten wollte, kann ich dir daher nicht sagen. Ich vermute, dass es etwas mit deinen Eltern zu tun hatte. Sie ...«
Erik unterbrach ihn mit leiser Stimme: »Weil auf ihnen ein Fluch lastet, und ich ein verbotenes Kind bin?«
Auf Aeneas’ überraschten Blick hin erzählte er von all den Geschehnissen der letzten Tage und der Warnung. Er rechnete mit wohl berechtigten Vorwürfen, weil er so lange geschwiegen hatte, der Ringlord jedoch nickte im Anschluss an seinen Bericht nur bedächtig.
»Das macht Sinn. Offensichtlich wollte Rufus dich zunächst nur vertreiben. Als ihm das nicht gelang, änderte er seine Strategie. Ich gehe mittlerweile davon aus, dass du
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