Die Weltenwanderer
oder erst die Eltern?« Er hielt die Hand hoch, die Finger bereit zum Schnippen.
Der Ringlord streckte ihm daraufhin wortlos seine rechte Hand entgegen. Marcks legte die Phiole mit einer großen, schon theatralisch anmutenden Geste hinein.
Aeneas sah die unscheinbare Flasche an, und Grauen erfasste ihn.
»Ja, die Aussichten sind trübe«, spottete sein Gegenüber. »Der Verlust der Kräfte geht leider mit äußerst unerfreulichen und schmerzhaften Nebenwirkungen einher. In wenigen Minuten wirst du nicht mehr in Lage sein, dich von deinem Lager zu erheben, weil deine Muskeln dir nicht gehorchen. Die zum Tode verurteilten Marú bettelten immer um einen schnelleren und leichteren Tod. Sie hätten sogar den Scheiterhaufen vorgezogen. Wusstest du, dass die größten Magier die grauenvollsten Todeskämpfe hatten. Je größer der magische Widerstand ist, desto qualvoller sind die Halluzinationen. Meist wurden Großmagier vor ihrem endgültigen Ende wahnsinnig. Die Rhan haben ja die Todesstrafe abgeschafft. So habe ich seit Jahren nicht mehr miterleben dürfen, wie unsagbar unzutreffend der Name
Himmelskraut
ist.«
Er schien sich an seinen Ausführungen sehr zu erfreuen und fuhr launig fort: »Mir fällt dazu gerade eine lustige Geschichte ein. Stell dir vor, ein Todeskandidat wurde seinerzeit begnadigt, hatte aber leider nur Minuten zuvor schon seine Tropfen bekommen. Die besten Heiler bemühten sich um das unschuldige Opfer. Vergeblich! Es war zu spät. Absolut nichts kann den tödlichen Ablauf noch aufhalten, wenn er in Gang gesetzt wurde.«
Aeneas hörte kaum die Worte, starrte nur blicklos auf das schlichte Fläschchen. Doch seine Gedanken galten gar nicht der Phiole, sondern den Jugendlichen, deren Schicksal nunmehr ebenfalls besiegelt schien. Denn niemand würde ihnen auf Turek zur Hilfe kommen. Sie waren auf sich allein gestellt. Der Einzige, der wusste, dass sie auf einem missglückten Transport verloren gegangen waren, der einzige, der dadurch überhaupt eine Chance hatte, sie zu finden, war der von seiner Rache besessene, eiskalte, skrupellose, aber leider auch immens starke Großmagier, der jetzt vor ihm stand und hingerissen seinem eigenen Wortschwall lauschte.
»Hat der große van Rhyn Erbe, der einst gefürchtete Schattenkrieger, der mächtige Ringlord vielleicht ein klitzekleines bisschen Angst? Sehe ich da möglicherweise ein Zittern? Sieh es positiv! Du wirst bald wissen, wie es sich anfühlt zerrissen zu werden, zu verbrennen, zu erfrieren, zu ertrinken oder zu ersticken. Ich würde ja lieber auf diese Erfahrungen verzichten, aber es wird sicher interessant. Die meisten Menschen müssen sich schließlich mit dem Erleben einer Todesart zufriedengeben.« Marcks amüsierte sich köstlich. »So sehr ich mich auch an dem Anblick deiner Hilflosigkeit erfreue, ich habe leider keine Zeit mehr. Ich habe schließlich Kinder zu versorgen. Trink!«
Aeneas spürte, wie sein Herz raste. Seine Hände waren so gefühllos, dass er Mühe hatte, die Flasche zu entkorken. Fast hätte er sie fallen lassen, was ihm erneutes Gelächter einbrachte. Er atmete tief durch, zwang sich dazu, nicht daran zu denken, dass er sein Gegenüber immer noch besiegen konnte, und trank. Das Himmelskraut rann bittersüß seine Kehle hinunter.
»Braver Junge«, lobte Marcks. »Hier deine Belohnung!«
Er ließ einen Lichtkegel wachsen. Es war nur rauchiges Licht zu sehen, keine Landschaft, keine Städte und schon gar keine Jugendlichen.
»Wo sind sie?«, brüllte der Bote wutentbrannt. »Wo sind diese verdammten Gören?«
Schon hielt er eine Feuerpeitsche in der Hand und trat auf den Ringlord zu. »Sie sind nicht auf Rhanmarú. Sag mir sofort, wo die Kinder sind ... oder ...«
»Sie waren ein bisschen übereifrig und haben meinen Reisezauber gestört«, unterbrach Aeneas. »Wo sie jetzt sind? Ich habe nicht die leiseste Ahnung.« Er spürte ein leichtes Zittern in den Gliedern und lächelte
Marcks schrie auf wie wahnsinnig und holte aus.
11
Erik und Gerrit rutschten dicht hintereinander die Kraterwand hinunter. Nach einer kurzen, schnellen Steilfahrt wurde ihre Rutschpartie etwas gebremst. In weiten Bögen ging es jetzt spiralförmig in die Tiefe. Der Untergrund war nicht hart, sondern eher sandig, mit einer Art Spur oder Rille in der Mitte. Ihre Geschwindigkeit nahm langsam wieder zu. Erik traute sich nicht, die kleinste Bewegung zu machen. Er presste die Arme fest an den Körper und ließ sich gleiten.
Vor sich hörte er Gerrit
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