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Die Weltenwanderer

Die Weltenwanderer

Titel: Die Weltenwanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liane Sons
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»Genau darum geht es. Wir sind hier, weil wir alle keinen Freund verlieren wollen. Gerrit wartet auf uns. Ich werde ihn nicht im Stich lassen. Du weißt selbst, dass es nicht anders geht, und du weißt, dass ich es kann. Gib zu: Wärst du an meiner Stelle, wärst du längst unterwegs.«
    Lennart schluckte und nickte schließlich. »Sei bloß vorsichtig, sonst kannst du was erleben«, forderte er.
    Sein Kamerad nickte ernst. Kurz umarmten sie sich.
    Erik schluckte ebenfalls und betrachtete das dünne Seil mit Argwohn. »Meine Güte! Bist du sicher?«
    »Sehe ich aus wie ein Selbstmörder? Natürlich bin ich mir sicher. Ich kann das, bin schon mal aus Jux auf einer Wäscheleine herumspaziert.«
    »Und runtergefallen«, ergänzte Holly matt.
    Adrian funkelte sie an. »Das war ein Partygag. Da bin ich zwei Meter tief auf weichen Rasen gefallen. Glaubst du nicht, dass ich heute anders an die Sache herangehe? Jetzt macht mich nicht nervös. Drückt mir lieber die Daumen!«

    Wie versteinert sahen die Freunde zu, wie er energisch auf den Abgrund zuging und den ersten Fuß auf das dünne Seil setzte. Kaum hatte er den zweiten Fuß nachgezogen, als der Stoff auch schon hörbar knirschte.
    Erik hätte am liebsten die Augen geschlossen, hielt sie aber krampfhaft offen. Das konnte nur der absolute Höhepunkt ihres gemeinsamen Albtraums sein. Er empfand zwar schon nach wenigen Sekunden Respekt für die beeindruckende Körperbeherrschung seines Freundes, Erleichterung brachte ihm dieses Gefühl allerdings nicht. Die Begleitumstände der genialen Meisterleistung waren zu widrig.
    Das dünne Seil knirschte bedrohlich, hing immer tiefer durch und schwang hin und her. Adrian balancierte wie ein Zirkusartist darüber, setzte Fuß vor Fuß, blieb hin und wieder stehen, um mit den Armen das schwankende Gewicht auszugleichen.
    Erik warf einen Blick in die bodenlose Tiefe des Kraters und musste sich auf die Lippen beißen, um nicht zu schreien.
    »Oh, Gott, oh Gott«, hauchte Holly kaum hörbar und klammerte sich an seinen Arm.
    Adrian hatte die Mitte erreicht und musste jetzt bergan gehen. Er schwankte immer häufiger und fing sich immer mühsamer wieder ab.
    In der atemlosen Stille war deutlich zu hören, wie ein Zopfstrang riss.
    »Beeil dich!«, brüllte Erik. Seine Stimme klang dunkel und selbst in seinen Ohren fremd.
    »Ich hab’s gleich« kam gepresst von Adrian. »Noch vielleicht zwei Meter!«
    Ein zweiter Strang riss.
    »Oh, bitte nicht«, stöhnte Anna. »Bitte halte!«
    Das Seil riss.
    Ihre Entsetzensschreie hallten durch die Höhle.
    Adrian warf sich nach vorn, bekam gerade noch das Podest zu fassen. Er keuchte, als sein Körper gegen den Stein knallte. Eine Hand rutschte ab, und er stöhnte und ächzte. Die Finger der rechten Hand konnten sein Gewicht nicht halten. Er stürzte. Aus einem Reflex heraus erwischte die linke Hand das Seil, das von der Statue nach unten baumelte. Er rutschte weiter nach unten, schwang sich herum und konnte endlich auch mit der rechten Hand zupacken. Einige Sekunden lang hing er wie ein nasser Sack am Seil, das nur wenige Zentimeter unter seinen Händen endete, und ächzte laut und vernehmlich.
    »Guter Junge«, lobte Lennart mit kratziger Stimme. »Sieh jetzt zu, dass du hochkommst!«
    Hand um Hand zog Adrian sich am Seil hoch und hangelte sich schließlich über die Kante. Schweratmend blieb er auf dem Podest liegen.

    Anna und Holly lachten und weinten gleichzeitig, Lennart blinzelte heftig und Erik wischte sich mit zitternder Hand durchs Gesicht.
    »Geht’s dir gut, Adrian?«, wollte er wissen.
    Der setzte sich mühsam auf und betrachte missmutig seine aufgerissenen Handflächen. »So weit, so gut! Ich würde ja sagen, das mach ich nicht noch einmal, dürfte aber überflüssig sein.« Seine Stimme war völlig tonlos. »Selbst, wenn ich den Mut aufbrächte, was ich nicht tue ... ach, geschenkt!«
    »Wir schaffen dich wieder rüber«, erklärte Lennart mit fester Stimme. »Uns fällt gleich etwas ein. Uns fällt immer was ein.«
    Die Erleichterung war trotz der aufmunternden Worte wie weggeblasen. Als sie sich ansahen, war in allen Augen nur Verzweiflung zu sehen. Bis auf die Tatsache, dass Adrian lebte, hatte sich ihre Situation nicht verbessert, sondern eher noch verschlechtert.
    Der Custor erhob sich mit wackeligen Beinen und ging zur Drachenstatue.
    »Kalt wie Eis. Das rote Ding da drin pulsiert«, erklärte er mit monotoner Stimme. Er zog den schwarzen Stein aus der Klaue, sah ihn sich

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